In der Medizin hat längst der Wettlauf gegen die zunehmende Zahl antibiotikaresistenter Bakterien begonnen. Phagen könnten hier die Lage entspannen: Die «Bakterienfresser» sind mikroskopisch klein und kommen überall in grosser Zahl vor – allein in einem Wassertropfen finden sich mehrere Millionen Exemplare. Es gibt sehr viele verschiedene Arten von Phagen, von denen aber jede nur eine bestimmte Bakterienart angreift. Das heisst: Will man Phagen für medizinische Zwecke nutzen, müssen Forscher die jeweils passenden aus der Umwelt isolieren, im Labor vermehren und zu einem Arzneimittel verarbeiten. Das Problem: Anders als Antibiotika, die unspezifisch im ganzen Körper wirken, müssen die Phagen mit medizinischer Hilfe direkt an den Infektionsort gelangen, wo sie sich im entsprechenden Bakterium vermehren.
Diesen Effekt machen sich verschiedene Länder im Osten bereits seit Längerem therapeutisch zu Nutze – ganz einfach weil es dort schwieriger war, an jeweils geeignete Antibiotika heranzukommen. In Georgien beispielsweise spricht man von einer Erfolgsquote von über 95 Prozent der Behandlungen mit Bakteriophagen, auch bei antibiotikaresistenten Keimen. Diese Erfolge sind jedoch nur ungenügend dokumentiert. Einfach übernehmen können die westlichen Länder diese Expertise nicht, denn es gibt einige Zulassungshürden zu überwinden. «Es fehlen klinische Studien nach den Regeln evidenzbasierter Medizin, so dass ein Einsatz der Phagentherapie im Westen zurzeit nur im Rahmen von Studien möglich ist», bedauert Mikrobiologe Martin Loessner von ETH Zürich.
Viele ungeklärte Fragen
Eine solche von der EU mit 3,8 Millionen Euro geförderte Studie läuft seit letztem Jahr in Belgien, Frankreich und der Schweiz. An 220 Verbrennungsopfern mit entzündeten Wunden soll die Wirksamkeit und Sicherheit der Phagentherapie beurteilt werden. Es ist die erste grosse klinische Studie, welche die europäischen Standards erfüllt. «Wir hoffen mit unserer Studie einen Beitrag zu leisten, die Phagentherapie in Europa zu etablieren», sagt Grégory Resch, Mikrobiologe von der Universität Lausanne. Die Chancen dafür stehen gut. Schliesslich sind bei den im Osten millionenfach angewendeten Behandlungen bis heute noch keine Nebenwirkungen aufgetreten. «Trotzdem sollte bei einer medizinischen Nutzung die genetische Sequenz der Phagen bekannt sein», betont Martin Loessner.
Denn die größte Schwierigkeit besteht darin, dass sich nicht genau vorhersagen lässt, wie Bakterien und Phagen interagieren. Phagen können in der Wirtszelle nicht nur die eigene Vermehrung einleiten, sie sind auch in der Lage, sich in das Wirtsgenom einzubauen und dort erst einmal abzuwarten. Dadurch wird das Bakterium aber gegen weitere Angriffe dieses Phagen immun. Zudem kann die genetische Veränderung das Bakterium virulenter machen. Außerdem können Bakterien auch aus eigener Kraft gegen Phagen resistent werden. Experimente zeigen, dass das sogar relativ schnell passiert.
Phagen sind keine Unbekannten
Hinzu kommt: Bislang gibt es noch kaum Erkenntnisse über die Prozesse, denen Phagen im Körper unterliegen – also wie sie ideal aufgenommen werden können, wie genau die Abläufe im Körper sind, wie sie wieder ausgeschieden werden. Tierstudien zeigten, dass Phagen bis zu vier Stunden im Blut und zehn Stunden lang in Organen wie Leber, Niere und Milz nachweisbar waren. Das klingt nicht nach viel. Weil die Phagen aber schneller aktiv werden als sich das Immunsystem zur Bekämpfung der Phagen mobilisiert, gewinnen Phagen diesen Wettlauf vielfach. Wie man eine solche Immunreaktion verhindert, ist noch unklar und wird eines der weiteren Forschungsziele sein.
Immerhin: Erfreulicherweise existieren für viele der Hindernisse bereits Lösungsansätze, die mit bestehenden mikrobiologischen und biotechnischen Methoden umsetzbar sind, zumal Wissenschaftler jahrzehntelange Erfahrung mit Phagen als molekularbiologischem Werkzeug haben. «Die Phagentherapie hat also durchaus Chancen, zukünftig als Ergänzung zur Antibiotikatherapie Eingang in die westliche Schulmedizin zu finden – gerade im Bereich der resistenten Keime», resümiert Martin Loessner.