Jährlich infizieren sich mehr als 400‘000 Menschen in Europa mit multiresistenten Keimen, rund 25‘000 überleben eine solche Infektion nicht. In Zukunft könnte es bedeutend mehr Opfer geben, denn die Allzweckwaffe Antibiotika verliert zunehmend ihre Wirkung.
Auf der Suche nach alternativen Therapiemöglichkeiten richten die Forscher ihre Aufmerksamkeit vermehrt wieder auf die Phagentherapie. Bakteriophagen (Phagen vom griechischen phagein für «fressen») sind Viren, die sich in Bakterien vermehren und dabei ihren Wirt zerstören. Sie kommen überall in der Natur vor, umfassend entsprechend viele Arten, greifen jeweils aber immer nur eine bestimmte Bakterienart an.
Gezielter einsetzbar als Antibiotika
Diesen Wirkmechanismus macht sich die Phagentherapie zu Nutze, indem die Viren gezielt gegen krankmachenden Bakterien eingesetzt werden.
«Im Gegensatz zu Antibiotika zerstören Phagen dabei nur die problematischen Keime und verschonen die für den menschlichen Organismus nützlichen Bakterien», erklärt Martin Loessner, Mikrobiologe an der ETH Zürich und einer der führenden Phagenforscher in der Schweiz.
Dieser Therapieansatz wurde bereits 1917 vom Französisch-Kanadier Félix d’Herelle in Paris entdeckt. In den folgenden Jahren wurden Phagen mit unterschiedlichen Erfolgen gegen Typhus, Cholera, Ruhr, eitrige Infekte und Harnwegsinfektionen eingesetzt.
Durch die Entdeckung der Antibiotika Ende der 1930er-Jahre geriet die Phagentherapie jedoch wieder in Vergessenheit. Denn mit den Antibiotika hatten die Mediziner nun ein einfach herzustellendes und äusserst wirksames Medikament gegen die meisten Infektionskrankheiten zur Hand.
Aus der Not geboren
Einzig im früheren Ostblock, wo der Zugang zu Antibiotika schwieriger war, wurde der Therapieansatz in den letzten 60 Jahren weiterhin erforscht und betrieben. Noch heute bietet beispielsweise das Eliava-Institut in Georgien Phagentherapien unter anderem gegen chronische Harnwegsinfektionen, chronische Sinusitis oder chronisch entzündete Wunden an.
In Tiflis lagert die weltweit grösste Phagensammlung der Welt. Denn für medizinische Behandlungen müssen die Forscher die jeweils passenden Phagen aus der Umwelt isolieren, im Labor vermehren und zu einem Arzneimittel verarbeiten. Die Georgier sprechen bei ihren Behandlungen von einer Erfolgsquote von über 95 Prozent, auch bei antibiotikaresistenten Keimen. Diese Erfolge sind jedoch nur ungenügend dokumentiert. «Es fehlen klinische Studien nach den Regeln evidenzbasierter Medizin, so dass ein Einsatz der Phagentherapie im Westen zurzeit nur im Rahmen von Studien möglich ist», bedauert Mikrobiologe Loessner.