Gross, schlank, lange Beine, lange Haare, mit lässig cooler Mütze auf dem Kopf und einem mädchenhaften Lächeln im Gesicht. Vera Bommer ist eine Frau, die einem sofort ins Auge sticht, wenn sie den Raum betritt. Sie erscheint riesengross, was sich aber als optische Täuschung entpuppt. Bommer ist nicht 1 Meter 80 gross wie ich vermutet habe, sondern «lediglich» 1 Meter 72.
Ich treffe sie im Café Lang in Zürich. Draussen sind Minusgrade. Bommer setzt sich an unseren Tisch und reibt sich die Hände: «Ich brauch unbedingt was Warmes.» Wenig später löffelt sie eine Gemüsesuppe. «Besser!» Es ist der Montag, an dem die erste Episode der SRF-Serie «Seitentriebe» ausgestrahlt wird. Bommer spielt die weibliche Hauptrolle.
Zweifel bis zur Vertragsunterzeichnung
Von Güzin Kars «Seitentriebe» erfuhr Bommer über eine Casterin in Österreich. Einen Agenten hat sie keinen. Das Drehbuch, insbesondere die Dialoge, überzeugten sie sofort: «Witzig pointiert und doch mit Feingefühl.» Für die Castings im vergangenen Oktober flog sie jedes Wochenende zwischen Graz und Zürich hin und her, kam Runde um Runde weiter – und zweifelte.
«Ich war mir sicher: Ich krieg die Rolle nicht.» Bommer kriegte die Rolle. Und zweifelte weiter. Sogar nach dem Dreh der Pilotfolge. «Als wir das finale Go hatten, bekam ich Schiss. Ich dachte, die ersetzten mich, weil ich zu jung aussehe.» Erst als Bommer den Vertrag unterzeichnet, glaubt sie daran.
Kreative Gene
Geboren ist Bommer in Zug, ihre Kindheit verbrachte sie hingegen in einem kleinen Dorf im Süden des Tessins. Italienisch ist ihre zweite Muttersprache. Mit zwölf zog sie mit ihrer Familie zurück in die Deutschschweiz. Ihr Vater, Zeichnungslehrer, eröffnete in Zürich eine Kunstgalerie.
«Zwar komme ich aus einer Künstlerfamilie, jedoch bin ich die einzige, die die darstellende Kunst für sich entdeckt hat. Als Teenie habe ich Streetdance getanzt», sagt Bommer und wirkt dabei verlegen.
Noch während des Gymnasiums meldet sie sich für einen Schauspielkurs an und bleibt hängen. «Mehr als die Bühne liebte ich die Gruppenübungen.» Dass sie das Schauspielern zum Beruf machen kann, war ihr nicht klar. Auf Rat der Kursleiter bewirbt sich Bommer dennoch für die Schauspielschule in Zürich und wird prompt angenommen. «Ich hab mich blind hineingestürzt und erst da gemerkt, was Schauspielern wirklich bedeutet.»
Idylle am Waldrand
Seit drei Jahren lebt Bommer mit ihrem Partner Pascal Goffin in Österreich. Beide sind Teil des Ensembles am Schauspielhaus Graz. Jeden Morgen fahren sie zusammen auf der Vespa zur Arbeit – Goffin am Steuer, Bommer hinten drauf. «Wir haben einen gemeinsamen Alltag. Das ist für ein Schauspielerpaar ein Luxus.»
Die beiden wohnen nicht unweit des Theaters, in einem Haus am Wald. Die Natur gebe ihr in hektischen Zeiten den Ausgleich, meint Bommer. Klingt nach malerischer Idylle. «Ich bin ein Mensch, der die Abwechslung braucht und ab und zu ins Nichts springen muss. Aber was ich in Graz habe ist so ideal, dass es schwer aufzugeben wäre.»
«Seitentriebe» – ein Karriere-Boost?
Früher diente das Fernsehen als Sprungbrett für die Kinoleinwand. Heute wollen Schauspieler lieber in Serien spielen als in grossen Filmen. Das Renommée hat enorm zugenommen. Was heisst das für Bommers Karriere? «Dass ich jetzt mit Angeboten überhäuft werde, erwarte ich nicht. Aber warten wir mal ab», sagt sie mit einem Zwinkern. Die Rückkehr nach Zürich schliesst die 35-Jährige nicht aus.
Den Suppenteller hat Bommer mittlerweile ausgelöffelt. Mit einer Scheibe Brot tunkt sie noch den letzten Rest der Sauce auf.
Nach dem Startschuss
Eine Woche später ruf ich Vera Bommer nochmals an und frage, wie es ausschaut. Jetzt, nachdem «Seitentriebe» angelaufen ist. Schön, meint sie. Menschen, die sie schon Jahre nicht mehr gesehen habe, würden ihr auf Facebook gratulieren. Sie hätte jede Menge Fanpost im Email-Briefkasten und ihre Webseite habe am Tag nach der Ausstrahlung gleich 900 Klicks mehr gezählt.
Vera Bommer kennt man jetzt. Und so viel sei verraten: «Seitentriebe» endet mit einem Cliffhanger, der nach einer zweiter Staffel aussieht. Vielleicht sehen wir Vera Bommer also schneller wieder im TV oder Computerbildschirm als gedacht.