Als Rekordmann Andres Ambühl knapp 6 Minuten vor Schluss mit seinem 145. Skorerpunkt das 3:2 für die Schweiz erzielt, ist es plötzlich ganz still in der Arena Riga. Dabei war es zuvor vom ersten Puckeinwurf an eine riesige Party gewesen. Doch Ambühls Geschoss schlägt nicht nur im lettischen Gehäuse ein, sondern auch mitten im Herzen der tapferen Gastgeber.
Zu hoher Lärmpegel? Egal!
Die Stille hält aber nur wenige Sekunden an, denn die grosse Mehrheit der 9178 Zuschauerinnen und Zuschauer weiss: Ihre Lieblinge brauchen die Unterstützung jetzt mehr denn je. Lettland benötigt ein weiteres Tor, sonst ist die Heim-WM für den Co-Gastgeber schon vor der K.o.-Phase vorbei. Der Trommelmeister geht voran, gibt mit voller Wucht den Takt an und das ganze Stadion schreit mit: «Latvija, Latvija, Latvija!»
Meine digitale Uhr warnt mich im Minutentakt, dass langfristige Lärmbelastung bei diesem Pegel mein Gehör beeinträchtigen kann. Ich drücke den Hinweis weg, schaue mich im weiten Rund um und denke mir: «Was ist schon ein vorübergehendes Piepsen in den Ohren, wenn du so was erleben darfst!»
Beim 3:3 brechen alle Dämme
Es dauert nicht lange, da schlägt meine Uhr erneut Alarm. Gut eine Minute nach Ambühls «Abkühler» läuft die Schweiz etwas blauäugig in eine 1-gegen-2-Situation. Rodrigo Abols, der mit Abstand beste Lette, legt quer auf Kaspars Daugavins, der Joren van Pottelberghe im Nati-Tor keine Chance lässt.
Vergessen Sie nun alles, was ich bisher über den Lärmpegel geschrieben habe. Beim 3:3 ist es noch lauter. Und als die letzten Sekunden der regulären Spielzeit verstreichen nochmals lauter.
Auf dem Eis und auf der Bank bejubeln die Spieler den Punktgewinn wie einen Turniersieg, auf den Rängen liegt sich gefühlt ein ganzes Land in den Armen. Mein Sitznachbar, ein lettischer Journalist, dreht sich komplett euphorisiert zu mir und meint: «Danke für diesen Punkt. Ich hoffe, die Schweiz wird Weltmeister.»
Verloren, aber doch gewonnen
Die Verlängerung ist dann nur noch Zusatz, das Dessert sozusagen. Möglicherweise schmeckt dieses nicht jedem Schweizer im Stadion, denn es sind die Letten, die den Overtime-Winner erzielen. Noch einmal Ekstase, noch einmal eine Lärmpegel-Warnung, noch einmal Hühnerhaut.
Die Nati hat zwar erstmals an dieser WM verloren, doch jeder einzelne Zuschauer in diesem Stadion hat gewonnen. Eine fantastische Erfahrung.