Es war der Spätabend des 28. September, als die breite Fussballwelt plötzlich auf einen neuen Namen aufmerksam wurde: Sébastien Thill. Der 27-jährige Mittelfeldspieler von Sheriff Tiraspol hatte als erster Luxemburger einen Treffer in der Champions League erzielt. Nicht irgendwie, nicht irgendwo und vor allem nicht gegen irgendwen: Vielmehr gelang ihm ein Traumtor – zum 2:1-Sensationssieg über Real Madrid, der das Santiago Bernabeu verstummen liess.
Für den moldawischen Königsklassen-Neuling Sheriff Tiraspol war es nach dem Auftaktsieg über Schachtar der zweite Vollerfolg im zweiten Spiel. «Es war das schönste und wichtigste Tor meiner Karriere, das ist mal sicher», strahlte Thill in die Mikrofone. Gegenüber ZDF erklärte er kurze Zeit später, sein Leben sei dennoch dasselbe – die Flut an Glückwünschen und Interview-Anfragen mal aussen vor gelassen.
Fortan wurde beim Underdog von der Über-Sensation, dem Einzug in die Achtelfinals der Königsklasse, geträumt. Der erste Dämpfer folgte jedoch mit dem 1:3 bei Inter Mailand, obwohl Thill – abermals äusserst sehenswert – noch zum zwischenzeitlichen 1:1 hatte ausgleichen können. Am Ende setzten sich in der Gruppe doch die «Königlichen» aus Madrid sowie Inter durch – der Geldadel sozusagen. Immerhin geht es für Sheriff nach der Winterpause in der Europa League weiter.
Jedenfalls erzielte Thill, dessen Marktwert sich innert Monaten von 400'000 Euro auf eine Million erhöhte, Tore, die unter die Haut gehen. Und erfüllte sich zugleich einen Traum, den Thill auf der Haut trägt: Auf seiner Wade ist seine Sehnsucht nach dem «Henkelpott» als Tattoo abgebildet. Im Punkte-Ranking der Uefa rangiert er auf Platz 20 aller Akteure. Der Mittelfeld-Regisseur ist nicht nur ein begnadeter Kicker, sondern auch eine Laufmaschine: Über 75 km spulte er in 6 Partien ab, mehr als jeder andere Spieler.
Dabei deutete zunächst wenig daraufhin, dass der 20-fache Nationalspieler Luxemburgs einst auf diesem Niveau spielen würde. Seine Karriere bei Progrès Niederkorn stagnierte, im Winter 2017 machte er mit einem Skandal Schlagzeilen: Nach einem Unfall beging er Fahrerflucht und wurde erwischt – mit 2,3 Promille im Blut! 2020/21 wurde er erst nach Russland an Tambow ausgeliehen, dann zu Sheriff.
Folgt der Transfer zu einem Top-Klub?
In Tiraspol fand er sein Glück. «Wir sind eine richtige Multikulti-Truppe. Man lernt täglich neue Sprachen und Kulturen, das macht Spass», schwärmte Thill im ZDF von seinem Team, das «wie eine Familie» sei. Das Ende der Fahnenstange soll damit indes nicht erreicht sein. Er sehe Sheriff durchaus als Sprungbrett. Er könne auch nicht verhehlen, dass die Armut in der Stadt allgegenwärtig sei.
Gut möglich also, dass man in den kommenden Jahren weitere Traumtore von Thill sieht. Dann vielleicht im Trikot einer namhafteren Equipe, denn Aufmerksamkeit hat der auffällige Akteur zur Genüge generiert. Dann erfüllt sich sein Wadentattoo vielleicht sogar gänzlich: Dass er nicht nur um die CL-Trophäe kämpfen, sondern sie eines Tages wirklich in den Himmel heben darf.
Sein Vater erzielte einst das Tor des Jahres
Das Kunstschuss-Gen hat Thill übrigens zweifellos von seinem Vater. Serge Thill, einstiger Nationalspieler Luxemburgs, erzielte 1997 das Tor des Jahres in der heimischen Liga. Einen Anstoss versorgte er direkt im gegnerischen Gehäuse (zu sehen in diesem körnigen YouTube-Video).