88 Jahre nach dem ersten Anlauf ist ein ganzer Kontinent erlöst: Mit Marokko steht erstmals ein afrikanisches Team im Halbfinal einer Weltmeisterschaft.
«Wir haben Geschichte für Afrika geschrieben. Afrika ist auf der Landkarte des Fussballs aufgetaucht», sagte Marokkos Trainer Walid Regragui im Anschluss an den Viertelfinal-Triumph gegen Portugal voller Pathos. «Wir haben unser Kapital genutzt, wir waren ein Team, wir hatten die Mentalität.»
Ein wuchtiger Kopfball von Youssef En-Nesyri (42.) entschied den Schlagabtausch mit den Südeuropäern in Doha (1:0). Aufopferungsvoll kämpfend und einigen schwerwiegenden Verletzungen zum Trotz verdienten sich die «Löwen vom Atlas» diesen Exploit gegen ein Portugal, das notabene die Schweiz vor 4 Tagen gleich mit 6:1 abgefertigt hatte.
Als erst vierte afrikanische Mannschaft nach Kamerun (1990), Senegal (2002) und Ghana (2010) waren die Marokkaner unter die letzten acht eines WM-Turnier vorgestossen, nun schreiben sie Geschichte für Afrika und als erstes arabisches Team in der Runde der letzten vier auch für die arabische Welt.
Belgien, Spanien, Portugal: Keine Hürde zu hoch
Marokko, das bis zum Turnier in Katar als grössten WM-Erfolg den Achtelfinal 1986 (0:1 gegen Deutschland) zu Buche stehen hatte, startete mit starker Organisation und einer gehörigen Prise Mut richtig durch. Dem Gruppensieg vor Vize-Weltmeister Kroatien und dem WM-Dritten Belgien folgte in der Runde der besten 16 die Sensation gegen Ex-Weltmeister Spanien nach Elfmeterschiessen, mit Torhüter Bono als grossem Helden.
Ebenfalls bemerkenswert: Noch konnte kein Team überhaupt ein Tor gegen die entfesselten Nordafrikaner erzielen. Den einzigen Gegentreffer in den bisherigen 5 Spielen musste Marokko gegen Kanada hinnehmen, dabei bezwang Verteidiger Nayef Aguerd nach einer Hereingabe unglücklich den eigenen Torhüter.
Nächster Brocken wartet
Dass ausgerechnet Marokko den historischen Schritt für Afrika schafft, ist doch überraschend: Erst einmal konnten sich die Löwen den Afrika-Cup krallen (1976), Grössen wie Ägypten (7 Titel), Kamerun (5) oder Ghana (4) zeichneten sich viel häufiger aus.
Im Halbfinal am Mittwoch wartet auf Marokko mit Titelverteidiger Frankreich das nächste Schwergewicht. Nach den bisherigen Vorstellungen der Nordafrikaner in Katar lässt sich getrost sagen: Na und? Fehlen wird ihnen dann allerdings Walid Cheddira, der in der wilden Abwehrschlacht der letzten Minuten gegen Portugal Gelb-Rot sah.