«Telegraaf»-Journalist André Sitek über die Stimmung in Amsterdam und die Final-Chancen von «Oranje» an der EURO.
SRF Sport: Sind Sie überrascht, dass die Elftal im Halbfinal steht?
André Sitek: Schon ein bisschen. Aber man muss klar sagen, dass wir viel Glück hatten. Gegen Rumänien im Achtelfinal und die Türkei im Viertelfinal zu spielen, ist anders als gegen Frankreich oder Deutschland. Aber wir haben eine gute Mannschaft.
Wie ist die Stimmung in Amsterdam?
Es geht eigentlich noch. Ausser meinem Hemd sieht man nicht viel orange. Aber wenn wir England schlagen, dann geht die Post so richtig ab bis am Sonntag.
Wie kam es zu diesem Höhenflug an der EURO?
Ich weiss nicht, denn es ist alles beim Alten geblieben. Memphis Depay spielt immer noch, obwohl er keinen einzigen guten Match gemacht hat. Ich bin übrigens der Meinung, dass auch Wout Weghorst nicht in die Startelf gehört. Aber er bringt Kampfgeist, das brauchen wir.
Bondscoach Ronald Koeman wurde vor dem Turnier stark kritisiert, jetzt wird er gefeiert. Wie erklären Sie sich diese Wandlung?
Ich kann diese Frage nicht wirklich beantworten. Er hat verschiedene Dinge ausprobiert. Zum Beispiel hat er Steven Bergwijn gegen Rumänien von Anfang an gebracht trotz seiner schlechten Saison mit Ajax Amsterdam. Das ganze Land hat gedacht, Koeman sei verrückt. Aber wenn man gewinnt, hat man ja alles richtig gemacht. Vielleicht sollte Koeman zwei Liter Alpenmilch trinken.
Warum?
Was die Schweiz und Österreich gezeigt haben an diesem Turnier, das hat mich richtig begeistert.
Aber die Niederlande haben doch schon immerhin 9 Tore erzielt und offensiv überzeugt?
Was uns auszeichnet, ist der Kampfgeist. Gegen Polen im Startspiel drehten wir einen 0:1-Rückstand, im Viertelfinal gegen die Türkei ebenfalls.
Goalie Bart Verbruggen hat gegen die Türkei gepatzt. Kann er noch zum Problem werden?
Natürlich war das beim Gegentor ein Fehler, aber er ist erst 21 Jahre alt. Das kann passieren. Ich glaube, mit ihm haben wir einen Torhüter für die nächsten 10 bis 15 Jahre.
Also keine Angst vor einem Elfmeterschiessen (die Niederlande schieden an der EM 1992, 1996 und 2000 jeweils n.P. aus, die Red.)?
Doch natürlich, da sind wir schlecht. Natürlich kann man das trainieren und ich sehe Spieler, die den Ball im Winkel versorgen. Aber wenn du vor 60'000 Fans antreten musst, ist das etwas anderes. Louis van Gaal hatte an der WM in Katar so ein grosses Maul. Und dann sind wir gegen Argentinien rausgeflogen (die ersten beiden Schützen verschossen, die Red.). Für mich bleibt es eine Lotterie.
Wie steht es um die Rivalität zwischen «Oranje» und England?
Ich schaue den Match im Pub bei einem englischen Freund. Ich werde ihm nach dem Spiel die Hand geben. Aber falls wir verlieren, bezahle ich nichts (lacht).
Viele niederländische Spieler und Trainer stehen in der Premier League unter Vertrag. Gibt es überhaupt Unterschiede?
Hoffentlich wird zu unseren Gunsten den Ausschlag geben, dass wir ein Team sind. Ich war traurig, dass die Schweiz ausgeschieden ist, aber froh, dass wir jetzt gegen England spielen. Gegen die Schweiz hätten wir mehr Mühe, da bin ich mir sicher.
Welcher Spieler von «Oranje» hat Sie besonders überzeugt?
Stürmer Cody Gakpo, der macht richtig Spass. Und die Abwehr mit Stefan De Vrij, Virgil Van Dijk, Nathan Aké und unserer Maschine Denzel Dumfries ist schon richtig stark. Sonst haben wir noch Luft nach oben.
Das Interview führte Dominik Steinmann.