Selbst beim grössten Jubel sitzt die Krawatte von Luis de la Fuente noch perfekt – bisher. Im EM-Final in Berlin gegen England könnte sie bei Spaniens neuem Erfolgstrainer aber vielleicht doch noch verrutschen. Dem 63-Jährigen mit dem Auftreten eines bescheidenen Hochschulprofessors winkt mit der «La Roja» der grösste Erfolg seit den glorreichen Jahren um den WM-Triumph 2010. De la Fuentes Anteil daran ist kaum hoch genug einzuschätzen.
Der spanische Nationalcoach erwartet am Sonntag ein «riesiges Spektakel» gegen die «Three Lions». Es träfen «sehr unterschiedliche Spielsysteme» aufeinander. «England ist körperlich sehr stark. Wir wollen unseren Stil durchsetzen, das Spiel dominieren und versuchen, keine Fehler zu machen», sagte De la Fuente.
Tiki-Taka war einmal
Unter ihm hat die brotlos gewordene Tiki-Taka-Spielweise der Spanier ausgedient. Der Nationalcoach habe verstanden, dass die Mannschaft Zeit brauchen würde, seine Ideen anzunehmen. «Unser Ballbesitz dient dazu, dem Gegner Schaden zuzufügen. Wir sind in unserem Spiel vertikaler und entschlossener geworden», erklärte Mittelfeldstratege Rodri im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Über sich selbst und seine Rolle spricht De la Fuente nur ungern. «Ich möchte einfach nur von meinen Spielern wertgeschätzt werden. Ich wertschätze sie enorm. Das ist das, was mich antreibt», so der einstige Linksverteidiger, der von seinen Spielern «Mister» genannt wird.
EM-Titel gewinnen kann er
Um das höchste Traineramt in Spanien zu bekommen, musste sich De la Fuente in den letzten 10 Jahren hocharbeiten, ehe er nach dem WM-Desaster 2022 in Katar installiert wurde. Er trainierte die U19- respektive U21-Auswahl – und erntet nun, was er in den Juniorenmannschaften gesät hat. Viele seiner heutigen Spieler kannte er bei der Amtsübernahme bereits bestens. Aus seiner Zeit als Junioren-Nationaltrainer hat De la Fuente zwei EM-Titel vorzuweisen, einen mit der U19, einen mit der U21. Dazu holte er mit den Toptalenten wie Dani Olmo und Pedri Olympia-Silber in Tokio.
Heftiger Gegenwind schlug ihm nach seiner ersten Niederlage entgegen: Nach dem 0:2 im März 2023 in der EM-Qualifikation gegen Schottland in Glasgow schrieben die spanischen Medien von einer Auswahl «ohne Talent und Charakter im Hampden Park». Monate später geriet der Nationalcoach in die Kritik, weil er bei einer Verteidigungsrede von Luis Rubiales Applaus gespendet hatte.
Der Fall Rubiales ist bei dieser EM erstaunlicherweise bisher kein Thema gewesen im Umfeld der Selección. Es geht nur noch um die Supertalente Lamine Yamal und Nico Williams, um die Siegesserie des Finalisten und die Hoffnung, sich mit dem vierten Titel zum Rekord-Europameister zu krönen.