Die defensiven Aussenpositionen in der Schweizer Nati waren an der WM 2022 das grosse Thema. An schlechten Leistungen von Silvan Widmer oder Ricardo Rodriguez lag das damals aber nicht, vielmehr an der dünnen Personaldecke auf den Seiten. An der EURO 2024 in Deutschland ist dies ein wenig anders – auch weil nicht mehr in der Viererkette, sondern mit einem System mit 3 Innenverteidigern gespielt wird.
Nicht geändert hat sich indes der Status von Widmer. Der Mainz-Captain ist auch nach einer langen Verletzungspause in der Nati unumstritten. So musste im Vorbereitungscamp in St. Gallen Kevin Mbabu über die Klinge springen. Obwohl der Augsburger in der abgelaufenen Spielzeit mehr Spielminuten als Widmer und Konkurrent Leonidas Stergiou zusammen absolviert hat.
Als Verteidiger in der Offensive
«Es tut mir natürlich leid für ihn», erklärt Widmer am Mittwochmorgen an der Medienkonferenz im Nati-Camp in Stuttgart. Auch er selbst habe 2016 und 2018 im Vorfeld eines Turniers dieselbe Erfahrung gemacht. So sei es bei aller Konkurrenz stets ein freundschaftlicher Umgang miteinander. «Aber klar, man will sich natürlich aufdrängen und von seiner besten Seite zeigen.»
Dies hat der Aargauer zuletzt auch gegen Österreich geschafft. Beim 1:1 in St. Gallen am letzten Samstag traf der 31-Jährige zum Ausgleich. Es war der 4. Treffer in der Nati für Widmer – aber kein ganz neues Gefühl. «Ich war in der Jugend Stürmer und wurde erst mit 17 zum Verteidiger umgeschult. Vielleicht ist deshalb noch ein wenig Stürmer-Blut vorhanden», schmunzelte Widmer, um ernsthafter anzufügen: «Ich mag es, mich als Aussenverteidiger im offensiven Drittel in der gefährlichen Zone aufzuhalten.»
Widmer kommt dabei auch das neue System entgegen. Mit seinen Tiefenläufen schafft er es immer wieder, den Gegner auseinanderzuziehen und Räume zu schaffen. Wichtig sei ihm dabei immer «unberechenbar zu bleiben», wie er mehrmals wiederholt.
Im Schach noch ungeschlagen
Beim Auftakt gegen Ungarn dürfte der Mainzer allerdings auch in der Defensive gefordert sein. Die Magyaren schaffen gerne Überzahl auf den Seiten und wollen so zum Erfolg kommen. Für Widmer kein Problem: «Ich brauche natürlich Unterstützung, wenn 2 oder 3 Spieler kommen. Aber das war noch nie ein Problem. Wir haben taktisch intelligente Spieler.» Auch er selber, mit 31 Jahren längst ein Routinier, coacht auf dem Platz viel und gern: «Manchmal sind es nur kleine Dinge. Etwa, dass der Mitspieler 2 Meter weiter links stehen soll, um einen Passweg zu schliessen.»
Schlau und unterstützend sind die Nati-Akteure offenbar nicht nur auf dem Feld, sondern auch daneben, wie Widmer erzählte. «Wir spielen in der freien Zeit viel gemeinsam. Schach, Brändi Dog, Poker oder Uno sind aktuell sehr beliebt.» Und auch sonst sitze man nach dem Essen gerne noch zusammen und rede. Für Widmer immer ein Indikator für die gute Stimmung. In vorangegangen Jahren offenbar keine Selbstverständlichkeit.
Für Widmer endeten die ersten beiden Partien beim Schach übrigens mit 2 Siegen. Gegen wen er sich durchsetzen konnte, wollte er nicht verraten. Vincent Sierro und Murat Yakin, die beide besonders gut spielen sollen, hat er noch nicht herausgefordert. Das Gefühl des Siegens aber, das will er auch gegen Ungarn beim EURO-Auftakt am Samstag wieder fühlen.