- Ein Pferd, das refüsiert, bringt im Modernen Fünfkampf die Deutsche Annika Schleu um eine sicher geglaubte Olympia-Medaille.
- Das «Reit-Drama» zieht weite Kreise: Die sozialen Medien verunglimpfen die Athletin als Tierquälerin, der Verband leistet Rückendeckung.
- Die deutsche Bundestrainerin wird am Samstag von den Olympischen Spielen ausgeschlossen.
- Derweil verteidigt der Weltverbandspräsident – ironischerweise ein Deutscher – das Wettbewerbsformat und die Wahl der Pferde.
Im Modernen Fünfkampf war Annika Schleu als Führende zur 3. Teildisziplin Reiten gestartet. Auf dem ihr zugelosten Saint Boy hatte zuvor schon eine Konkurrentin mit 3 Verweigerungen grosse Probleme bekundet. Noch bevor die Deutsche in den Parcours reiten konnte, blockte das Tier ab.
Zunehmend der Verzweiflung nahe, versuchte die 5-fache Weltmeisterin im Sattel, ihren vierbeinigen Sportspartner zum «Dienstantritt» aufzufordern. Sie setzte dabei auf Rat der Bundestrainerin die Gerte und Sporen ein. Kurzzeitig übersprang das Pferd ein paar Hindernisse, ehe es sich – sichtlich verunsichert – von neuem sträubte. Die 31-jährige Schleu brach während des Einsatzes in Tränen aus, blieb letztlich ohne Punkte und rutschte auf Rang 31 ab.
Im Kreuzfeuer – der Verband stellt die Fairnessfrage
Im Nachgang dieses Waterloos sieht der deutsche Disziplinen-Verband «dringenden Handlungsbedarf» für eine Anpassung des Reglements der umstrittenen Teildisziplin Springreiten. Die Verantwortlichen wünschen sich «eine konstruktiv-sachliche Debatte rund um den Modernen Fünfkampf».
Am Samstag entschied indes der Weltverband der Modernen Fünfkämpfer, die deutsche Bundestrainerin Kim Raisner von den Olympischen Spielen auszuschliessen. Der offensichtliche Versuch von Raisner, Saint Boy mit der rechten Faust auf die linke hintere Flanke zu schlagen, stehe nicht im Einklang mit dem Reglement.
Das Wohl der Tiere und faire Wettkampfbedingungen müssen im Mittelpunkt stehen.
Gleichzeitig nahm man von höchster Stelle die unglücklich kämpfende Athletin in Schutz. Mittlerweile ist in den sozialen Medien eine regelrechte Hetzjagd gegen Schleu im Gang. Sie wird als Tierquälerin abgestempelt. Der deutsche Verband wehre sich «entschieden dagegen, dass eine Sportlerin persönlich beschimpft und beleidigt wird».
Auch der deutsche olympische Sportbund – das Pendant zu Swiss Olympic hierzulande – nahm die Bilder aus dem Tokyo Stadium zum Anlass, um eine Änderung des Regelwerks zu fordern. Dieses müsse «so angepasst werden, dass es Pferd und Reiter schützt», heisst es in einer Mitteilung. «Das Wohl der Tiere und faire Wettkampfbedingungen für die Athletinnen und Athleten müssen im Mittelpunkt stehen.»
Die Replik: «Alles war genial, war super»
Klaus Schormann meldete sich hinterher ebenfalls zu Wort – und hatte wenig überraschend eine diametral andere Sichtweise, obschon er auch Deutscher ist. Allerdings vertritt der 75-jährige Vorsitzende die Interessen des Weltverbands, entsprechend verteidigte er die Auswahl der Pferde.
Man habe die Tiere getestet, sie seien gut präpariert gewesen. «Es gibt keine Grundlage für die Sportler, sich zu beschweren.» Es habe nur an ihnen selbst gelegen, wenn sie in einigen Teilen des Wettbewerbs nicht erfolgreich gewesen seien, so der Funktionär. «Alles war genial, war super. Ich bin mit der Organisation sehr zufrieden.»
Schormann räumte dann doch noch ein, dass es «vielleicht ein paar Momente gegeben hat, von denen man sagen würde, dass sie nicht so schön gewesen sind.» Sein abschliessendes Urteil lautet indes: «Die Pferde sind absolut exzellent.»