«Dass ich mit erst 22 Jahren auf diesem Niveau zurückkehren kann, das ist unglaublich. Klar, die Hoffnung war da. Aber gleich 4 Siebenkämpfe auf diesem Niveau und das ohne Rückenprobleme. Einfach super», sagte die Bündnerin. 6515 Punkte trugen ihr die Bronzemedaille und als Zugabe erneut den Schweizer Rekord ein.
Vor 16 Monaten befanden sich die Kälins am anderen Ende der Gefühls-Skala. Die Athletin und ihr Trainer und Vater Marco Kälin mussten erkennen, dass aus dem Olympiatraum vorerst nichts werden wird. Die Rückenverletzung, welche die Siebenkämpferin beim Hürdensprint an der Hallen-WM im polnischen Torun Mitte März 2021 erlitten hatte, zerstörte diesen Traum. Ermüdungsbruch im Wirbelbogen lautete die Diagnose.
Marco Kälin, von Beruf Arzt, zog die richtigen Schlüsse und die Reissleine: Rückzug, Regeneration und ein Wiederaufbau mit Fokus auf die Schwachstellen. Einen solchen Cut hatten die Kälins schon 2017 vorgenommen, als die Bündnerin ebenfalls fast eine ganze Saison auf den Siebenkampf verzichtet hatte, aber als Weitspringerin und Hürdensprinterin für Aufmerksamkeit sorgte.
«Jetzt habe ich die Schwachstellen dank spezifischer Übungen im Griff», betont Annik Kälin, die als angehende Physiotherapeutin mit dieser Materie auch beruflich vertraut ist. Ihr Rezept, um den Körper im Lot zu halten, lautet: «Belastungen beidseitig setzen und nicht nur auf der Seite des Sprungbeins, in die Rumpfkraft investieren, die Technik anpassen und Auszeiten nehmen.»
Investitionen zahlen sich aus
Die Investitionen im Olympiajahr zahlen sich nun aus. Mit der Rückkehr als Siebenkämpferin folgte gleich die Bestätigung für den Verzicht auf Tokio. Am 1. Mai im italienischen Grosseto entriss sie mit 6398 Punkten Géraldine Ruckstuhl den Schweizer Rekord. Ein starker Wettkampf drei Wochen später in Götzis trug definitiv das WM-Ticket ein.
Diese Chance nutzte die Mehrkämpferin vor einem Monat in Eugene zum Schweizer Rekord von 6464 Punkten. Und nun katapultierte sich Annik Kälin definitiv in neue Sphären – ab der Marke von 6500 Punkten tritt man in die Weltspitze ein. Die Medaille von München bedeutet der Schweizerin selbstredend mehr als die Punktzahl. «Es ist meine erste Medaille bei der Elite», sagt sie und erzählt, wie wichtig die WM-Teilnahme vor einem Monat in Eugene war: «Man lernt die Abläufe kennen, das hilft.»
Die Situation von München konnte sie in Eugene allerdings nicht simulieren. Vor dem 800-m-Lauf nahm die Nervosität überhand. «Ich wusste den halben Tag fast nicht was machen, bis es endlich los ging», schildert sie ihren Zustand während der Warterei. Denn bei der Anreise nach München hatte die Athletin nicht mit einer Medaille gerechnet.
Weitsprung als Schlüsseldisziplin
Erst die überragenden 6,73 m im Weitsprung am 2. Wettkampftag hievten sie in diese Position. Doch ein Bestwert über 800 m musste für die Medaille her. «Es ging einfacher als erwartet», kommentiert sie die Steigerung um 4 Sekunden über die 2 Bahnrunden.