Südafrika-Captain Siya Kolisi und seine Mitspieler stellten gerade den Webb Ellis Cup in die Ecke, als plötzlich Roger Federer zur Tür hereinkam. Der Schweizer Edel-Fan, Sohn einer Südafrikanerin, gratulierte im grün-gelben Trikot und stand prompt im Mittelpunkt der Kabinenfeierlichkeiten des neuen Rugby-Rekord-Weltmeisters.
Ja, den Südafrikanern gelang beim dramatischen 12:11 im Gigantenduell mit Neuseeland Grosses. Womöglich gar ein Triumph «für unsere Nation», wie die Zeitung Times feststellte. «Von aussen kann man das vielleicht nicht komplett verstehen», sagte Kolisi, der in ärmsten Verhältnissen aufgewachsene erste schwarze Captain der «Springboks». «Unser Land macht so viel durch, so vielen Kindern geht es nicht gut, aber wir können für Hoffnung sorgen und zeigen: Wenn wir zusammenarbeiten, dann ist alles möglich.»
Wer nicht aus Südafrika ist, versteht die Bedeutung dieses Sieges nicht.
Wie schon im Viertel- und im Halbfinal siegten die Südafrikaner mit dem geringstmöglichen Vorsprung. «Wir mögen Drama», sagte der zum Mann des Spiels gewählte Pieter-Steph du Toit. Und auch er fügte an: «Ehrlich gesagt, wer nicht aus Südafrika ist, versteht die Bedeutung dieses Sieges nicht. Es geht nicht nur um das Spiel auf dem Feld. Unser Land muss eine Menge ertragen. Wir sind die Hoffnung, die die Menschen haben.» Südafrika hat mit Kriminalität und vielen Gewaltverbrechen zu kämpfen.
Der Titel soll dem ganzen Land einen Schub in die richtige Richtung geben. Schon der 1. von nunmehr 4 WM-Titeln im Jahr 1995 hatte eine besondere gesellschaftliche Bedeutung. 3 Jahre nach dem Ende der Apartheid waren der schwarze Präsident Nelson Mandela und der weisse Captain Francois Pienaar in der Freude vereint. Ein Bild nicht nur für die Geschichtsbücher, sondern auch für Hollywood.
Der Triumph von Paris über den dreifachen Champion Neuseeland steht der Dramaturgie zumindest im Sportlichen kaum nach: «All-Blacks»-Captain Sam Cane sah als erster Spieler in einem WM-Final eine Rote Karte, auch vier Gelbe Karten sind historisch unerreicht.
Die Neuseeländer kämpften gegen die Widrigkeiten an, vergaben aber zwei dicke Siegchancen – und sorgten damit für grenzenlosen Jubel in Pretoria und Kapstadt, aber auch bei den Ärmsten und Benachteiligten in den Townships. Den Leuten, an die Kolisi dachte.