Der Eidgenössische Technische Leiter Stefan Strebel verkündete das Verdikt live am Fernsehen bei SRF. Der Aargauer, um die Jahrtausendwende dreifacher Eidgenosse geworden, liess mehr als nur deutlich durchblicken, dass sich im zuständigen sechsköpfigen Einteilungskampfgericht – jeder Teilverband hat seinen Anwalt, Strebel präsidiert das Ganze – heftige Diskussionen und Dissonanzen entwickelt hatten.
So heftig, dass die Jury den vollständig anwesenden Zentralvorstand des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV) beizog. Der Vorstand wird an Festen eidgenössischer Prägung gemäss dem Regulativ nur beigezogen, wenn es darum geht, einem Schwinger den Königstitel zuzuerkennen.
In Interlaken stimmten die Mitglieder der beiden Gremien schliesslich ab. Walther oder Reichmuth. Die Wahl fiel mit einem knappen Entscheid auf den Berner Zweimeter-Mann.
Objektive Kriterien sprechen gegen Reichmuth
Wie aber konnten derartige Meinungsverschiedenheiten in den massgebenden Gremien entstehen? Man hätte ja einfach einigermassen objektive Kriterien heranziehen können. Walther hatte in den ersten fünf Gängen gegen fünf Eidgenossen geschwungen, Reichmuth «nur» gegen vier. Walther hatte keinen seiner ersten fünf Kämpfe verloren, Reichmuth musste sich vom Freiburger Eidgenossen Benjamin Gapany bezwingen lassen.
Die Krux ist, dass Kriterien wie «besseres Notenblatt» oder «weniger Niederlagen» nirgendwo in einem Regulativ festgehalten sind. Das Einteilungskampfgericht kann sie heranziehen, muss es aber nicht tun. Kriterien, die objektiv messbar und einigermassen fair wären, sind fakultativ.
Das Warten auf Giger gegen Reichmuth
Im vorliegenden Fall wird es in der Gesamtjury zwei Lager gegeben haben. Jene, die Walthers objektive Vorteile am stärksten gewichten wollten, und jene, die lieber Reichmuth im Schlussgang gesehen hätten. Wieso Reichmuth? Seit Jahren sehnt die ganze Schwingergemeinde ein Duell zwischen Giger und Reichmuth herbei.
Obwohl es dafür in den Einteilungen der verschiedenen Feste die verschiedensten Gelegenheiten gegeben hätte, kam es nie dazu. Es ist eine andere Sichtweise. Aber es fragt sich, ob ausgerechnet für einen Schlussgang etwas erzwungen und hierfür einigermassen objektive Kriterien weggedrückt werden müssen.
Eine ganz andere Geschichte ist das Festlegen des Schlussgangs an allen Festen, die nicht unter eidgenössischer Hoheit stehen, sondern von Teilverbänden oder Kantonalverbänden organisiert und betreut werden. Die meisten Gastgeber sind erpicht, dem Publikum einen Schlussgang mit zwei Einheimischen zu bieten. Kriterien, die für einen fremden Schlussgangteilnehmer sprechen würden, werden nicht selten gänzlich unterdrückt.