Im Jahr 1601 notierte die Sennengesellschaft Arth in ihrer Jahresrechnung: «8.9 Gulden verausgabt für Steinstossen, Schwingen, Laufen und Springen anlässlich der Sennenchilbi.» Allfällige Fehlentscheide des Kampfgerichts sind nicht überliefert, aber klar ist: Seit über 400 Jahren wird auf der Rigi schon geschwungen. Nach praktisch gleichgebliebenen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen. In schwierigen Momenten Grösse zeigen, lautet so ein Gesetz. Das ist – und war immer schon – zugleich wertvoll und viel verlangt.
In den gut 4 Jahrhunderten, die seit jenem Tag vergangen sind, als die Sennen auf der Rigi den Schwingsport in ihrer Buchhaltung explizit erwähnt haben, sind unzählige Wettkämpfe überall in der Schwingerschweiz ins Land gezogen. Gelenkt von Generationen von Kampfrichtern, die abertausende von Entscheiden gefällt haben, meistens richtig, manchmal falsch, und wenn falsch, dann ohne Absicht. Die Kampfrichter der Gegenwart haben allerdings gegenüber ihren Kollegen aus der Vergangenheit den gravierenden Nachteil, dass ihre Arbeit gefilmt wird.
VAR würde Klarheit schaffen, aber auch Ungerechtigkeit
Die Kameras rund um den Sägemehlring filmen bisweilen aus Winkeln, die von den drei Kampfrichtern nicht eingesehen werden können. Ausserdem gibt es in der TV-Übertragung die besonders gemeine Möglichkeit der verlangsamten Wiederholung. Man erkennt auf dem Fernsehbild also wesentlich mehr, als die Kampfrichter jemals sehen können. Von dieser Erkenntnis bis zur Forderung nach einem Videobeweis ist der Weg nicht weit. Nur, ein solcher Videobeweis würde nebst Klarheit in einzelnen Situationen vor allem eines schaffen: Ungerechtigkeit über den gesamten Wettkampf.
An jedem Schwingfest mit TV-Abdeckung gibt es pro Gang jeweils einen Ring, um den herum die Kameras platziert sind. Diese Bilder einem Videokampfrichter zugänglich zu machen, wäre technisch einfach lösbar. Der überwiegende Teil des Wettkampfes findet jedoch abseits der Fernsehbilder statt und damit ohne die Möglichkeit des Videobeweises. Ausser, man würde jeden Sägemehlring extra mit Kameras für die Videoschiedsrichter ausstatten, was finanziell und personell jenseits aller Verhältnismässigkeit wäre.
Grösse in schwierigen Momenten ist gefordert
Man stelle sich nun ein Eidgenössisches vor, bei dem nur auf einem einzigen Ring viedoüberwacht gekämpft wird, während es auf den anderen Plätzen im gleichen Wettkampf um die gleichen Kränze ginge. Das wäre eklatant ungerecht und bestimmt nicht das Ende der Diskussionen um Kampfrichterentscheide. Ganz abgesehen von anderen Kritikpunkten wie der zeitlichen Verzögerung des Wettkampfes und dem Umstand, dass auch Videobilder nicht jeden strittigen Fall würden lösen können.
Es ist bitter für einen Athleten, wenn er im sportlichen Wettkampf durch einen Fehler des Kampfgerichts seiner Chancen beraubt wird. Erst recht, wenn das verlangsamte und mehrfach wiederholte Videobild einen allfälligen Fehlentscheid offensichtlich macht. Umso mehr ist nun die Grösse in schwierigen Momenten gefordert. Und zwar nicht nur von den Schwingern, sondern von allen im und um den Schwingsport.
Die Kampfrichter gehören mit ihren Fehlern und mit all den unzähligen korrekten Entscheiden zur Kultur des Schwingens. Einer Kultur, die durch eine Gegenwart hindurch getragen werden muss, die wegen der verfügbaren Videobilder ganz besondere Ansprüche an die Akzeptanz von Fehlentscheiden stellt.
Diese Aufgabe zu meistern, dazu gibt es erstens keine Alternative. Und zweitens verpflichtet uns irgendwie auch die so lange Geschichte des Schwingsports. Zum Beispiel die Sennenchilbi im Jahr 1601 auf der Rigi, bei der es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den einen oder anderen Fehlentscheid gegeben hat.