Nur kurz war Jan Scherrer hin- und hergerissen, ob er nun in Bakuriani Bronze gewonnen oder nicht doch eher Gold verloren hatte. In seinem starken 1. Run war ihm der Cab 1080 Double Cork nicht ideal geglückt: «Es war eigentlich der einfachste Trick dieses Laufs. Aber ich war in der falschen Position, der Speed fehlte», erläuterte der Toggenburger. Am Start sei er in einer «seltenen Situation» gewesen: «Ich wusste, wenn ich den Run perfekt ins Ziel bringe, ist es ein Weltmeister-Run.»
Nach dem kleinen Fehler beim zweiten Trick wusste er, dass nur im Glücksfall die 89,25 Punkte zu WM-Gold reichen würden. Weil ihm in den Läufen 2 und 3 je ein schwerer Patzer unterlief, begann nach seinem letzten Run das grosse Zittern: «Es war keine schöne Stunde. Der Tag hat mega gut begonnen, dann wurde es heavy, zu sehen, wie die Konkurrenz immer näher kam. Das Bangen um Edelmetall wurde für Scherrer derart zur Qual, dass er sich – am irritierten Dopingkontrolleur vorbei – auf den Sessellift begab.
Viel besser für die Nerven war die Flucht in lichte Höhen indes auch nicht. «Auf dem Sessellift hörte ich immer wieder Leute jubeln. Ich dachte: ‹Nein, was läuft jetzt?›» Wieder unten angekommen war sie dann Tatsache: die Bronzemedaille. Nach Rang 3 an den Olympischen Spielen in Peking sowie Silber und Bronze an den X-Games schlug der Halfpipe-Spezialist erneut zu. Einmal mehr dank dem ihm eigenen «Jan Tonic», einem rückwärts angefahrenen Doppelsalto mit 3 Drehungen um die eigene Achse mit spezieller Grab-Kombination.
Diese Meisterleistung geht unter, nicht aber auf die Haut. Nach Olympia-Bronze hatte Scherrer wegen einer Wette, die er gegen seine Frau verlor, ein Tattoo ihrer Wahl stechen lassen müssen. In Bakuriani gab es eine solche Wette nicht, dafür traf das Ehepaar eine Abmachung für 2026: Steht Scherrer dann an den Olympischen Spielen erneut auf dem Podest, darf er eine Tätowierung für Gattin Sasha auswählen.
In dieser Revanche-Wette versteckt sich eine gute Nachricht: Dass der Stilist bis zumindest 2026 plant. Das ist nicht selbstverständlich, zählt der 28-Jährige doch bereits zu den Routiniers der Branche. In Bakuriani standen ein 16-Jähriger (Chaeun Lee) und ein 17-Jähriger (Valentino Guseli) neben ihm auf dem Podest. «Die Spannweite ist riesig, es hat mittlerweile mehr junge Fahrer», so Scherrer. «Ich vertrete meine Generation und kämpfe gerne gegen die 16- und 17-Jährigen.»
Nicht nur im Feld der Snowboarder ist er eine Art Vater. Im Mai letzten Jahres kam Tochter Sienna zur Welt. Das familiäre Glück habe in ihm in sportlicher Hinsicht mitunter Zweifel hervorgerufen. «Ich hatte Angst vor der Saison, dass es Veränderungen gibt, dass ich mit etwas weniger Training und Schlaf Mühe habe, das Niveau zu halten. Ich bin selber erstaunt, dass die Leistung kein bisschen eingebrochen ist.»
Dank seinem weiteren «Kind», dem «Jan Tonic», reichte es trotz eines kleinen Fehlers zur Medaille. Und nach einem kurzen Moment der Unsicherheit war sich Scherrer dann im Klaren: «Ich habe nicht Gold verloren, ich habe Bronze gewonnen.»