Alice Robinson muss lachen, als sie gefragt wird, ob sie sich jung oder alt fühle. Doch die Frage ist berechtigt, findet sie selbst: «Einerseits habe ich viel Erfahrung gesammelt, weil ich mein erstes Weltcup-Rennen mit 16 absolviert habe. Andererseits habe ich gerade im letzten Jahr gemerkt, wie viel ich noch lernen kann», sagt die erst 23-Jährige.
Dabei ist die Karriere der Neuseeländerin lange Zeit eine einzige Erfolgsgeschichte:
- Mit kaum 16 Jahren steht Robinson im Januar 2018 in Kranjska Gora (SLO) erstmals auf der Weltcup-Bühne, verpasst den 2. Lauf aber um 1 Sekunde.
- An der WM 2019 in Are – bevor sie im Weltcup einmal in die Punkte hat fahren können – überrascht sie im Riesenslalom als 17. Laufbestzeit im 2. Durchgang inklusive.
- 5 Tage später gewinnt sie als erste Neuseeländerin Gold an der Junioren-WM. Mit mehr als 1 Sekunde Vorsprung auf Camille Rast.
- Wenige Wochen später sichert sie sich in ihrem 9. Rennen in Spindlermühle (CZE) als 16. erstmals Weltcup-Punkte und fährt beim Weltcup-Finale in Soldeu (AND) als Zweite sensationell aufs Podest.
- Den Winter 2019/20 eröffnet die damals noch 17-Jährige mit dem Premieren-Sieg in Sölden ideal.
Es ist der Startschuss in ein Leben, das fernab ihrer Heimat stattfindet. Den Kontakt zu ihrer Familie, die auf der anderen Seite des Globus in Queenstown lebt, hält sie via Facetime. Den Sommer kennt Robinson kaum mehr: «Ich habe schon so lange keinen richtigen Sommer mehr erlebt, dass ich gar nicht mehr weiss, was ich genau vermisse», sagt die Frohnatur dazu.
Vonn und Miller als Vorbilder
Sie, die vor allem deshalb mit dem Rennsport angefangen hat, weil ihr die Rennanzüge der anderen Kinder gefielen, kennt kaum jemanden, als sie mit 16 in Europa im Weltcup auftaucht. In Neuseeland sind TV-Bilder aus dem Weltcup rar, ihre Vorbilder sind die US-Stars jener Zeit: «Lindsey Vonn und auch Bode Miller, der immer am Limit fuhr, habe ich besonders bewundert. Die Amerikaner waren damals die einzigen, die nach Neuseeland kamen, um zu trainieren.»
Doch der Anfangsschwung bei Robinson im Weltcup verpufft mit der Zeit ein wenig. Sie gewinnt in Kranjska Gora (2020) und Lenzerheide (2021) zwar weitere Male, muss danach aber lange auf Sieg Nummer 4 warten.
Im Weltcup erwachsen geworden
«Als ich jung war, hatte ich mein natürliches Talent und Speed, deshalb habe ich wohl andere Sachen vernachlässigt. Ich war einfach dieses Mädchen, das vom anderen Ende der Welt gekommen ist und der alles zugefallen ist. In den letzten 4 Jahren bin ich deutlich erwachsener geworden. Jetzt weiss ich, was ich tun muss, um wieder oben zu stehen», blickt Robinson zurück.
Die Zeit ohne Sieg sei jedoch keine einfache gewesen: «Ich musste unten durch, um wieder aufsteigen zu können. Es ist hart, einen Schritt zurück zu machen, um wieder zwei vorwärts zu machen. Aber die Zeit hat mich viel gelehrt.» Mittlerweile habe sie Konstanz in ihre Leistungen bringen können, um jede Woche ihre Bestleistung zu liefern.
2025 konstant gut
Erst fast 4 Jahre nach ihrem Erfolg in der Lenzerheide folgt in Kronplatz im Januar 2025 Weltcup-Sieg Nummer 4. Sie habe zwar auch in jener Zeit gewusst, dass manchmal nicht viel gefehlt habe, und dennoch: «Das war eine sehr grosse Erleichterung, denn 4 Jahre sind eine lange Durststrecke. Es ist sehr schön, mit einem solchen Erlebnis in die WM zu gehen.»
Hier in Saalbach geht sie deshalb am Donnerstag im Riesenslalom als heisse Medaillenkandidatin ins Rennen. Denn neben dem Sieg in Kronplatz fuhr sie in dieser Saison auch in Sölden (2.), Semmering und Kranjska Gora (jeweils 3.) aufs Podest. Nur in Killington fiel sie aus. Der Lohn: die rote Startnummer als Disziplinen-Führende.
Mit der WM noch eine Rechnung offen
Dass ihr der WM-Hang behagt, zeigte sie bereits am letzten Donnerstag beim Super-G. Obwohl der Kurs eher den Abfahrtsspezialistinnen entgegengekommen sei, fuhr sie auf Rang 11. «Realistisch gesehen ganz gut», findet sie selbst.
An Grossanlässen hat Robinson dennoch etwas gutzumachen. Nach dem überraschenden 17. Platz 2019 war sie zwei Jahre später in Cortina ganz nahe an einer Medaille, ging als Vierte indes leer aus. In Méribel 2023 (15.) passte die Form nicht, nun soll der Coup im Riesenslalom am Donnerstag gelingen: «Ich hoffe, dass ich so gut fahren kann, wie schon die ganze Saison», bleibt sie zuerst vage, um doch noch anzufügen: «Das Podest ist schon mein Ziel.»
Es wäre die erste Krönung in der Karriere der jungen und doch schon so erfahrenen Alice Robinson.