Schon in den ersten Szenen des Films liegt ordentlich Zündstoff in der Luft. Allerdings nicht im Tunnel.
«Ciao, bella ragazza!» – «Du hast mit meiner Schwester nicht zu reden!» – «Lumpenpack! Wir brauchen euch nicht! Verschwindet!»
Wir befinden uns in Göschenen im Jahr 1873. Tausende ausländische Männer strömen in das kleine Dorf, um auf der grössten Baustelle Europas Arbeit zu finden. Hier entsteht der 15 Kilometer lange Gotthardtunnel.
12 Franken für ein Mauseloch?
Und hier trifft der deutsche Ingenieur Maximilian auf den italienischen Mineur Tommaso, beide auf der Suche nach einer Unterkunft. Anna Tresch, die Tochter eines Fuhrmanns, vermietet ein Zimmer – zum Wucherpreis von 12 Franken die Woche. Den Männern bleibt nichts anderes übrig, als sich ein Bett zu teilen.
Es sind diese drei Figuren, die im Film im Mittelpunkt stehen. Eine Freundschaft entsteht, bald kommen Liebesgefühle ins Spiel. Doch die Dreiecksbeziehung ist kompliziert. Plötzlich stehen sich die Hauptfiguren als Gegner gegenüber.
«Gotthard» ist ein Spielfilm mit fiktiven Protagonisten, der auf wahren Begebenheiten beruht. Zwei Historikerinnen haben das Drehbuch immer wieder überprüft. Entstanden ist eine unterhaltsame und lehrreiche Geschichtslektion.
Die da oben und die da unten
Dazu gehören selbstverständlich auch der Unternehmer Alfred Escher und der visionäre Tunnelbauer Louis Favre (gespielt von Carlos Leal). Mit viel Bart und Schnauz, adrett gekleidet in Hemd und Weste, wollen sie das Jahrhundertbauwerk so rasch wie möglich vorantreiben – auf Kosten der Arbeiter, die sich im Stollen mit verschwitzten Lumpen und dreckigen Händen den Schweiss von der Stirn wischen.
Die Arbeitsbedingungen beim Bau des ersten Gotthardtunnels in den 1870er-Jahre waren katastrophal, das zeigt der Film eindrücklich. Die Mineure kämpfen gegen die enorme Erschöpfung, viele erkranken an einer Staublunge, infizieren sich wegen der miserablen Hygiene mit dem tödlichen Hakenwurm.
Dazu kommt die ständige Gefahr von Tunneleinbrüchen und Explosionen mit dem soeben erfundenen Dynamit. Als sich die Arbeiter zu einem Streik formieren, schiesst die Polizei in die Gruppe und tötet mehrere Männer.
Der Aufstand beruht auf wahren Begebenheiten. Ebenso der Tod von Louis Favre nur wenige Monate vor dem Durchstich. Im Tunnel sackt er plötzlich zusammen und stirbt an Herzversagen.
Aufwändige Dreharbeiten
«Gotthard» sei sein aufwändigster Film gewesen, sagte der 2020 verstorbene Regisseur Urs Egger in einem SRF-Interview. Für die Dreharbeiten wurde in einem Steinbruch ausserhalb von Prag ein grosses Filmset mit Gebäuden, Strassen und Brücken konstruiert. Die Szenen im Tunnel entstanden in einer Lagerhalle in Köln. Als Kulisse für das alte Göschenen diente das Bündner Dorf Valendas.
Das Resultat ist ein dramatischer, unterhaltsamer Film, mitunter mit einigen Klischees, aber durchaus beeindruckend. Man spürt die Hitze im Tunnel, riecht den Gestank der Explosionen, fühlt den Herzschmerz. Und die Freude, als im Februar 1880, nach rund drei Filmstunden, der Durchstich glückt.