In den Gassen von La Paz ertönen nicht nur die üblichen Schritte der Passantinnen oder das Murmeln der Strassenhändler. Es ist das rhythmische Klacken von Skateboards, die über den Asphalt gleiten. Skaten ist erst vor wenigen Jahren nach Bolivien gekommen, und vielen gilt es noch immer als wilder Sport von Strassengangs. Doch mit ihren Sprüngen und Pirouetten brettern die skatenden «Cholitas» gegen anhaltende Klischees.
Widerstand auf Rollen
Auf 3500 Metern über dem Meeresspiegel haben sich die Skaterinnen ihr kleines Rebellionszentrum geschaffen. «Pura Pura» nennen sie ihr Skate-Revier, das höchste der Welt.
Diese Frauen balancieren in ihren traditionellen Polleras auf Skateboards – mehrschichtige, schwere Röcke mit reichlich Unterröcken. Der westliche Extremsport trifft hier auf alte Tradition. Die Botschaft könnte nicht klarer sein: Eine «Cholita» kann alles, selbst wenn die Gesellschaft sie längst in eine andere Schublade gesteckt hat.
Ursprünglich war dieses schwere, mehrlagige Kleidungsstück nichts anderes als ein spanisches Diktat am indigenen Körper. Sie wurde den indigenen Frauen von den Spaniern aufgezwungen. Doch das Instrument der Unterdrückung wurde zur Waffe des Widerstands umfunktioniert. Die indigenen Frauen nahmen diesen Rock und machten ihn zu ihrem eigenen.
Die Mütter dieser Skaterinnen legten die Polleras ab, wollten nichts mit diesem altbackenen Frauenbild zu tun haben. Ihre Töchter hingegen greifen bewusst danach – nicht als Rückkehr zu alten Rollenmustern, sondern als Neuinterpretation.
Sie holen sich zudem einen Begriff zurück, der jahrhundertelang wie ein giftiger Stempel wirkte: «Cholita» – ein Schimpfwort für die vermeintlich rückständige, ungebildete indigene Frau.
Leslie Quisbert gleitet auf ihrem Board dahin, eingehüllt in den Rock ihrer Grossmutter – ein Kleidungsstück, das Zeiten überdauert hat, in denen die indigene Bevölkerung unter unvorstellbarer Unterdrückung litt. «Ich bin stolz auf meine Grossmutter», sagt Leslie.
Ich bin mit der Pollera geboren, ich sterbe auch mit ihr.
Während einige ältere Mitglieder der indigenen Gemeinschaft den Skaterinnen kritisch gegenüberstehen, erkennt Leslies Grossmutter in ihnen die lebendige Fortsetzung ihrer Kultur.
Die Polleras verwandeln sich von einem Symbol der Unterdrückung zu einem Zeichen selbstbewusster kultureller Identität. Darauf ist die Grossmutter stolz: «Ich bin mit der Pollera geboren, ich sterbe auch mit ihr.»
Lama-Fötus als Glücksbringer
Zum dreijährigen Jubiläum wollen die Skaterinnen ein Ritual abhalten. Für Glück und Schutz kaufen sie den getrockneten Fötus eines Lamas. Dieser gilt in Boliviens Tradition als wichtigste Opfergabe für Mutter Erde.
Im «Tal der Seelen», einer geologischen Formation, die wie ein oberirdisches Stalagmitenfeld wirkt, vollziehen die Skaterinnen ihr Ritual. Mit weiteren Opfergaben wird der Sullu verbrannt und die Asche schliesslich im Boden vergraben.
So verbinden diese Frauen auf ihre eigene Weise die Gegensätze: westlicher Extremsport und indigene Spiritualität, Tradition und Revolution, Vergangenheit und Zukunft – alles vereint in einem bunten Rock auf einem Skateboard.