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Die Trauer und unser Problem damit
Aus Zivadiliring vom 05.03.2024. Bild: SRF/Mirjam Kluka
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Umgehen mit Trauer «Wir dürfen den Tod nicht totschweigen»

Yvonne Eisenring ist erfolgreiche Autorin, Podcasterin und Moderatorin. Ihr Vater starb an einem Herzinfarkt, als sie 14 Jahre alt war. Im Podcast «Zivadiliring» spricht Yvonne Eisenring mit ihren Kolleginnen Gülsha Adilji und Maja Zivadinovic darüber, wie sie diese einschneidende Erfahrung noch heute prägt und wie man trauernde Menschen unterstützen kann.

Yvonne Eisenring

Autorin, Podcasterin und Moderatorin

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Yvonne Eisenring ist Autorin und Moderatorin und verbringt als Teilzeit-Nomadin die Hälfte des Jahres im Ausland. Ihre Bücher, Theaterstücke und Drehbücher schreibt sie in Paris, Mexiko, Argentinien oder New York.

Sie ist Teil des Podcast-Trios «Zivadiliring», der 2023 als bester Unterhaltungs-Podcast an den «Suisse Podcast Awards» ausgezeichnet wurde. Zudem moderiert Yvonne Eisenring die SRF-Sendung «Unlocked».

23 Jahre nach dem Tod deines Vaters wird sein Grab aufgehoben. Wie wichtig war das Grab für dich?

Yvonne Eisenring: Ich war vor allem zum Todestag und Geburtstag meines Vaters beim Grab, also nicht sehr oft. Aber es ist trotzdem ein komisches Gefühl, dass dieser Ort bald weg ist.

«Zeit heilt alle Wunden» – ist Trauer zeitlich begrenzt?

Ich glaube nicht, dass alle Wunden so heilen, als ob sie nie da gewesen wären. Aber die Zeit hilft, das neue Leben zu normalisieren. Natürlich hätte ich unglaublich gerne meinen Vater zurück, aber ich bin sehr glücklich heute. Je mehr Zeit vergangen ist, desto mehr fühle ich mich auch ohne ihn komplett.

Je mehr Zeit vergangen ist, desto mehr fühle ich mich auch ohne ihn komplett.

Inwiefern prägt der Verlust deines Vaters noch heute dein Leben?

Ich habe ein tolles, erfülltes Leben. Aber manchmal nervt es einfach nur, dass sich dieser Verlust auf jeden Bereich meines Lebens auswirkt. Zum Beispiel reagiere ich sehr stark darauf, wenn jemand nicht erreichbar ist, weil ich immer das Gefühl habe, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. Diese Angst ist einfach da. Genauso in Beziehungen: Ich habe manchmal das Gefühl, es ist vorbei, obwohl alles gut ist. In diesem Sinne hat mich der plötzliche Verlust meines Vaters geprägt: Sicherheit ist immer auch eine Gefahr. Das hat sich tief eingebrannt.

Hast du Tipps für das Umfeld von trauernden Personen?

Wir müssen normalisieren, dass die Person, die gestorben ist, immer noch im Leben vorkommt. Über verstorbene Angehörige sprechen können – und zwar in allen Formen: Das kann traurig sein, das kann lustig sein, alles muss Raum haben. Weil wir so viel Angst vor dem Thema haben, verhindern wir, dass es überhaupt aufkommt. Aber das wäre falsch.

Das Schlimmste am Trauern ist, wenn alle rundherum die verstorbene Person totschweigen.

Und: Man kann auch gezielt nachfragen. Ich mache das manchmal bei einer Freundin, die ihre Mutter verloren hat. Dann sage ich Dinge wie «Sie wäre jetzt stolz auf dich» oder «Darüber habt ihr ja gesprochen». Einfach, damit sie weiss, dass mir ihr Verlust bewusst ist. Aber es reicht auch schon, sich offen zu zeigen, wenn jemand über den Tod sprechen möchte. Denn das Schlimmste am Trauern ist, wenn alle rundherum die verstorbene Person totschweigen.

Wie kondoliert man richtig?

Hauptsache, man sagt etwas. Mir selbst ist das Kondolieren auch unangenehm, aber da muss man über den Schatten springen. Und: Man kann auch ganz direkt fragen, was die Person gerade braucht – ob sie darüber sprechen, zum Lachen gebracht oder abgelenkt werden will. Das ist sehr individuell.

Ist eine Karte schreiben eine gute Option?

Sehr, denn dann kann die Person selbst entscheiden, wann sie die Karte liest. Man sollte nie vergessen, wie gut es der trauernden Person tut, zu wissen, dass an sie gedacht wird.

Video
«Ich oder Du» mit Yvonne Eisenring und Gülsha Adilji
Aus Gesichter & Geschichten vom 13.09.2023.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 55 Sekunden.

Was ist für dich die grösste Fehleinschätzung in Sachen Trauer?

Menschen haben oft klare Vorstellungen von Trauer: In der Anfangsphase wird erwartet, dass man ständig weint, wenn der Todesfall schon länger her ist, wird das Gegenteil erwartet. Dabei ist der Trauerprozess kein stetiger. Die Phasen wiederholen sich, sie kommen miteinander, mehrmals oder gar nicht. Es gibt keine Regeln beim Trauern, auch wenn wir das Bedürfnis danach haben, sie besser verstehen und einordnen können. Aber das geht nicht – und das müssen wir akzeptieren.

Das Gespräch führten Yvonne Eisenring, Gülsha Adilji und Maja Zivadinovic im Rahmen ihres Podcasts «Zivadiliring». Die Fragen und Antworten sind ein Auszug aus der Folge «Die Trauer und unser Problem damit» vom 5. März 2024. Sie wurden gekürzt und paraphrasiert.

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