Schon ein Jahr leidet die Welt unter der Pandemie: ein Jahr der Opfer und der Ungewissheit – und ein Jahr auf Abstand. Zeit, nach vorne zu blicken: Wie geht es weiter bei den Anstrengungen gegen das Virus? Ist in den nächsten Monaten überhaupt wieder an «Normalität» zu denken?
Wünsche für die Zukunft gibt es momentan genug, wie die Strassenumfrage zeigt:
Ich wünsche mir, dass man wieder draussen sitzen, grillien und geniessen kann mit den Verwandten und allen zusammen.
Dabei sehnen sich viele nach vermeintlich alltäglichen Dingen: nach gemeinsamen Grillieren und nach Begegnungen mit Menschen, nach Nähe. Und natürlich: dass Corona mitsamt Mutationen vorüber ist.
Die Impfung – der heilige Gral?
In der Schweiz läuft derzeit die grösste Impfaktion der Geschichte: Bisher wurden mehr als 675'000 Impfdosen verabreicht, rund 7 Prozent der Bevölkerung wurden mindestens einmal geimpft. Der Weg zur Bevölkerungsimmunität scheint aber noch weit. Wie weit hängt insbesondere von einer Frage ab: Macht uns die Impfung auch weniger ansteckend?
Denn: «Je besser wir mit einer Impfung eine Übertragung, eine Ansteckung verhindern können, desto weniger hat das Virus die Chance, sich weiterzuverbreiten», so Anita Niederer-Loher, Infektiologin und Impfexpertin am Ostschweizer Kinderspital.
Weniger Ansteckung durch die Impfung – das klingt logisch, ist aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zwar versprechen die in der Schweiz zugelassenen mRNA Impfstoffe von Moderna und Pfizer/Biontech eine Wirksamkeit von rund 95 Prozent. Die Geimpften sind also mit einer grossen Wahrscheinlichkeit vor einer schweren Erkrankung geschützt. Ob sie auch die weitere Ansteckung vermeiden, ist noch unklar.
Unterschieden wird hier zwischen der systemischen und der sterilisierenden Immunität: Bei der systemischen Immunität entwickelt die geimpfte Person zwar Antikörper und wird vor schweren Erkrankungen geschützt. Aber: in den Schleimhäuten bilden sich trotz Impfung nur wenige Antikörper, das Virus kann sich in Nase und Rachen vermehren und so weiter auf andere Menschen übertragen werden.
Nicht so bei der sterilisierenden Immunität: Dort bilden sich auch in Nase und Rachen genug Antikörper, das Virus hat keine Chance auf Überleben - niemand wird weiter angesteckt. Diese Immunität bleibt aber die Idealvorstellung. Ganz erreicht wurde sie bisher noch bei keiner Impfung in der Geschichte. Zu anfällig sind die Schleimhäute für oberflächliche Infektionen.
Reichen die Impfungen für die Bevölkerungsimmunität?
Ist also nur mit einer sterilisierenden Immunität ein Ende in Sicht? Nein. Auch mit einer guten systemischen Immunität wird die Virenmenge reduziert. Eine weitere Ansteckung wird zwar nicht verhindert, aber stark gebremst. Das heisst: Eine Bevölkerungsimmunität ist dennoch möglich.
Eine neue Studie aus Israel, dem Land mit der weltweit höchsten Impfquote, lässt hoffen: Die mit dem Pfizer/Biontech Mittel geimpften Personen würden nach einer Infektion viel weniger Viren produzieren als Nicht-Geimpfte, die Antikörper scheinen also schon in Mund und Rachen gute Arbeit zu leisten. Die Studie muss aber noch weiter geprüft werden.
Wird die Impfung bei neuen Varianten wirken?
Doch kaum wurden Impfstoffe entwickelt, müssen sie sich einer neuen Herausforderung stellen: Mutationen. Werden die Impfstoffe diesen standhalten?Auf einen gewissen Grundschutz gegen neue Varianten wird gehofft. Und: Die mRNA Impfstoffe lassen sich auch fortlaufend anpassen. «Ähnlich wie beim Grippeimpfstoff, den man auch verändern muss, dass er wieder zu diesen Viren passt, die zirkulieren.» Laut Anita Niederer-Loher sind solche Anpassungen relativ einfach machbar.
Wird die Pandemie bald auskuriert?
Noch vor einem Jahr betraten Ärzte und Pflegefachpersonen Neuland. Vom mysteriösen Virus konnten nur die Symptome behandelt werden: mit Schmerzmitteln und künstlicher Beatmung. Wie sieht die Therapie heute aus? Kommt bald der Durchbruch?
Zuerst einmal habe man gelernt, welche Dinge nicht funktionieren, so Christoph Fux, Chefarzt vom Kantonsspital Aarau. «Die ganzen antiviralen Mittel waren zum grossen Teil Enttäuschungen.» Mittlerweile habe man Erkenntnisse gewonnen, mit denen grosse Schritte gemacht wurden: «Wir haben gelernt, dass man vor allem das Gerinnungssystem behandeln und überschiessende Entzündungen behandeln muss.»
Im Zentrum der Behandlung steht auch die Beatmungstherapie. Am Anfang intubierte man die Patienten relativ früh und verlegte sie auf die Intensivstation. Die Erfahrungen haben aber gezeigt, dass es besser ist, wenn dieser Schritt möglichst lange hinausgezögert wird.
Pflegefachfrau Nicole Jenni behandelt Covid-Patienten deshalb etwa mit einem sogenannten High-Flow-Gerät. Diese Techniken und Geräte seien zwar nicht neu, aber: «Wir haben gelernt, diese noch viel intensiver und miteinander anzuwenden.»
Mit Erfolg. Das zeichnet sich auch in aktuellen BAG-Zahlen ab. Von 1000 Hospitalisierten mussten in der ersten Welle noch 197 auf die Intensivstation verlegt werden. In der zweiten Welle nur noch 174 Personen.
Die Wunderpille fehlt noch
Trotz besseren Behandlungen – die eine Therapie oder das eine Medikament für eine schnelle Genesung gibt es noch nicht.
Laut Manuel Battegay, Vizepräsident der Covid-19-Taskforce des Bundes, bräuchte ein solches Medikament ganz spezifische Fähigkeiten: «Wenn etwa jemand in einer Familie infiziert ist und man dann mit einem einfachen Medikament alle rundherum therapieren könnte, sodass die Krankheit nicht ausbricht.»
Doch ein solches Wunschmedikament für den Klinikalltag ist noch nicht in Sicht.
Blicke in die Kristallkugel
Wie weit ist es also noch bis zur alten «Normalität»? «Verschwinden wird das Virus nicht», meint Science-Task-Force-Präsident Martin Ackermann und hofft darauf, noch vor einer Infektion geimpft zu sein. BAG-Vizedirektorin Nora Kronig zeigt sich optimistisch bezüglich der Impf-Deadline: «Bis Ende Juni sollten alle geimpft sein, die möchten. Da sind wir zuversichtlich.»
Auch für den Präsidenten der eidgenössischen Impfkommission Christoph Berger ist der grösste Brocken dieses Jahr geschafft: «Impfen mit Hochdruck ist das Programm für das erste halbe Jahr, wahrscheinlich noch länger. Dann sind wir Ende 2021 so weit, dass wir aus der Pandemie rauskommen.»
Für die Infektiologin Anita Niederer-Loher ist klar: Das Virus wird noch eine Weile ein Thema bleiben. «Ich denke, dass wir noch in drei, vier, fünf Jahren davon reden. Aber nicht mehr mit der Unsicherheit, der Angst von heute.»
Wo stehen wir in einem Jahr? «Wir werden leider weiterhin Menschen haben, die erkranken, die infiziert werden», so Manuel Battegay. «Aber die Situation dieser Pandemie werden wir so nicht mehr haben.»
Bundesrat Alain Berset und Bundespräsident Guy Parmelin haben eine klare Vorstellung, wo sie sich in einem Jahr sehen: «Mindestens auf einer Terrasse mit einem Bier. Hoffe ich - wo sind wir in einem Jahr, Herr Präsident?» «Das Gleiche für mich, aber mit einem Glas Weisswein.»