Ist die Situation heute mit der vom letzten April vergleichbar? Nein, noch nicht. Die jetzigen Fallzahlen sind zwar genauso hoch oder sogar höher aus als Ende März, aber das ist eine Art optische Täuschung.
Im Frühjahr war die Dunkelziffer höher als jetzt, wahrscheinlich hat man vor allem milde Fälle übersehen. Wenn man nur die nackten Zahlen anschaut, dauert es heute scheinbar länger als im Frühjahr, bis sich die steigenden Infektionszahlen in steigenden Hospitalisierungen niederschlagen.
Sprich: Das Virus sieht harmloser aus. Dabei ist lediglich das Bild vom Infektionsgeschehen jetzt genauer, zumindest für die Zeit bis Anfang letzter Woche.
Seitdem ist die Positivitätsrate wieder stark angestiegen. Das ist der Wert, womit abgeschätzt wird, wie gut oder schlecht die Fallzahlen die Situation widergeben. Das spricht dafür, dass das Bild wieder unschärfer wird.
Seit letzter Woche spricht der Bund von einer «zweiten Welle». Warum kommt sie so viel langsamer? Wir bekommen jetzt auch den Teil mit, der im Frühjahr unter dem Radar verlief. Am Anfang einer Welle sieht es immer erst mal langsam und gemächlich aus. Dazu kommt der Jahreszeiteffekt. Im Sommer breiten sich alle respiratorischen Viren langsamer aus.
Auch die ergriffenen Massnahmen – Masken, Abstand, Hygiene und die Vorsicht von vielen – haben einen Effekt auf den Verlauf. Die Krux bei alldem ist, dass es unglaublich schwer ist, genau zu beziffern, wie stark welcher Effekt ist: Es gibt keine Parallelschweiz, in der man das Virus zum Vergleich ganz ohne Massnahmen testweise durchlaufen lassen könnte.
Sind wir in unserem Wissensstand wirklich viel weiter, auch punkto Therapie? Die klinische Therapie war in der Schweiz von Anfang an gut. Die Sterblichkeit im Spital lag bei zehn Prozent – ein sehr guter Wert im internationalen Vergleich.
Man darf deshalb nicht erwarten, dass es jetzt bei allen Schwererkrankten im Herbst viel besser läuft. Bis die Therapien noch einmal spürbar besser werden, etwa durch weitere Medikamente, wird es noch einige Monate dauern.
Ein weiterer Punkt: Die ambulante Therapie verläuft noch fast genauso wie zu Beginn. Das heisst: Man momentan kann nicht darauf hoffen, dass durch eine bessere ambulante Therapie viele Hospitalisierungen verhindert würden.
Müsste man Grossanlässe mit mehr als 1000 Menschen wieder verbieten? Der Schluss liegt nahe, aber es gilt zwei Sachen auseinanderzuhalten. Inzwischen ist sicher, dass Superspreader-Events ausschlaggebend für die Covid-19 Ansteckung sind. Die allermeisten Infizierten stecken gar keinen an. Dafür stecken einzelne, wenn ein paar dumme Zufälle zusammen kommen, sehr viele an.
Grossveranstaltungen mit vielen Menschen müssen aber nicht zwangsläufig zum Risiko werden, wenn man das bisherige Corona-Wissen konsequent nutzt.
Mehr darüber zu wissen, wo in der Schweiz Superspreading stattfindet und wie man es dort verhindert, wäre fast wichtiger, als Grossveranstaltungen pauschal zu verbieten.
Bis wann gilt es durchzuhalten – bis die Impfung da ist? Es klingt so einfach, «bis die Impfung da ist». Es kann aber gut sein, dass ein erster Impfstoff nicht zu 100 Prozent wirkt, die Pandemie also nur bremst, aber nicht zum Halten bringt.
Manche Experten hoffen schon jetzt auf die zweite Generation Impfstoffe, die dann besser wirken würde. Es wird wohl früher greifen, dass die Therapien nochmal ein Stück besser werden.