Bei der Zürcher Biotech-Firma Molecular Partners ist gerade vieles anders als sonst. Das zeigt schon ein Schreiben, das an der Eingangstür des Unternehmens in Schlieren hängt. Das Schreiben ist vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO: eine Bewilligung für Wochenendarbeit und Schichtbetrieb.
Letzte Woche gab der Bund bekannt, dass er Molecular Partners einen einstelligen Millionenbetrag zahlt, um sich 200'000 Dosen eines Medikaments gegen Covid-19 zu sichern.
Es gebe gerade eine «Extra-Dimension Zeitdruck» bei der Entwicklung, sagt Geschäftsführer Patrick Amstutz: «Wir sind in einem internationalen Rennen gegen ein Virus, das nicht schläft, täglich Leute infiziert und unseren Alltag inhibiert.»
Von der Krebstherapie zur Virenbekämpfung
Natürlich rührt dieser Zeitdruck auch daher, dass die erste Firma mit einem wirksamen Medikament gegen Covid-19 mit riesigen Umsätzen rechnen kann. Bisher gibt es nur einige Arzneien, die beschränkt wirken.
Molecular Partners ist eigentlich auf Krebstherapien spezialisiert. Dies änderte sich, als das Coronavirus Anfang März immer näher kam. Gleich mehrere Mitarbeitende der Firma seien auf Patrick Amstutz zugekommen und hätten gefragt: «Können wir da nicht was machen?»
Von Krebs zu Infektionskrankheiten ist in der Pharmabranche ein Riesenschritt. Für Molecular Partners war er etwas kleiner, weil die Technologie des Unternehmens beides bekämpfen kann: Tumore und Viren.
Den menschlichen Körper kopiert
Um nun einen Wirkstoff gegen das Virus zu entdecken, haben die Forschenden, vereinfacht gesagt, einen Teil des menschlichen Immunsystems nachgebaut.
Denn der menschliche Körper besitzt einen genialen Abwehrmechanismus: Er stellt unzählige verschiedene Antikörper nach dem Zufallsprinzip her. Dringt ein Virus in den Körper ein, gibt es dank dieses Systems fast immer einige Antikörper, die es erkennen, binden und unschädlich machen.
Molecular Partners hat dieses System kopiert und im Labor einen eigenen Zufallsmechanismus kreiert. Mit einem speziellen Verfahren lassen sich daraus stark vereinfachte, künstliche Antikörper – sogenannte Darpins – herstellen, wie Projektleiter Marcel Walser erklärt.
Millionen künstlicher Antikörper
Im Tiefkühler lagert nun eine riesige Bibliothek solcher Darpins in flüssiger Form. Die Forscher haben diese Bibliothek mit einem Eiweiss des Sars-CoV-2-Virus zusammengebracht, das das Virus braucht, um in die menschlichen Zellen einzudringen.
«So können wir aus Millionen verschiedener Darpin-Moleküle die herausfischen und isolieren, die dieses virale Oberflächen-Protein binden», erklärt Projektleiter Marcel Walser. Die Firma hat damit künstliche Antikörper in der Hand, die das Coronavirus unschädlich machen.
Mehrfach abgesichert
Aber damit nicht genug: Die Forscher koppeln drei verschiedene Darpins zusammen, die an unterschiedlichen Stellen ans Viren-Eiweiss binden.
Das ergebe einen besseren Wirkstoff, erklärt CEO Patrick Amstutz: «Man kann sich das vorstellen, wie wenn man etwas festhalten muss: Zwei Hände halten besser als eine.»
Die Suche nach den besten Darpins, die Tests im Labor und an Tieren: All das sei im Schichtbetrieb passiert, sagt Projektleiter Marcel Walser. In wenigen Wochen war alles erledigt, was sonst drei bis sechs Monate dauere: «Das war quasi Lichtgeschwindigkeit.»
«Die Wahrheit liegt in klinischen Studien»
In zwei bis drei Monaten sollen die Tests im Menschen beginnen. Dass bereits früher Krebsmedikamente auf Darpin-Basis in solchen Tests einige Hürden genommen haben, ist ein positives Zeichen.
Trotzdem könnten ernste Nebenwirkungen auftreten, sagt Alexander Eggel von der Universität Bern, der seit Jahren mit Darpins arbeitet: «Klar kann man sie optimieren, sodass das Risiko gering gehalten wird. Aber die Wahrheit liegt am Ende in den klinischen Studien.»
Der Bund geht mit seinem einstelligen Millioneninvestment in Molecular Partners also durchaus Risiken ein. Auch, weil einige Wirkstoffe anderer Firmen bereits in klinischen Tests sind und schneller auf den Markt kommen könnten.
Internationale Investoren
Und trotz der Geldspritze des Bundes ist unklar, ob die klinischen Studien in der Schweiz stattfinden werden, sagt Geschäftsführer Patrick Amstutz: «Wenn, wie wir hoffen, die Patienten-Fallzahlen in der Schweiz tief sind, geht man vielleicht anderswo hin, wo es mehr Fälle gibt und man Studienteilnehmer schneller rekrutieren kann.»
Internationale Investoren haben sogar 80 Millionen Franken zum Darpin-Projekt beigesteuert. Es sei möglich, dass seine Firma das Medikament nur mithilfe eines grossen, vielleicht ausländischen Pharmakonzerns auf den Markt werde bringen können, sagt Patrick Amstutz.
Die Zahlung des Bundes sei ein Kniff, um der Schweiz den Zugriff auf ein potenzielles Medikament zu sichern: «Falls wir das Produkt weiter lizenzieren, können wir das Anrecht für die Schweiz trotzdem behalten.»
In ungewöhnlichen Zeiten geht auch der Bund offensichtlich Arrangements ein, die ungewöhnlich sind.