Den Tiefpunkt ihrer Karriere erreichte Katalin Karikó im Frühling 2013. Als sie eines Morgens in ihrem Labor auftauchte, fand sie ihre Habseligkeiten gestapelt im Flur vor: ihren Bürostuhl, ihre Ordner, ihre Poster, ihre Kisten voller Teströhrchen. Nach 24 Jahren unermüdlicher Forschung setzte die University of Pennsylvania sie vor die Tür.
«Ich habe meinem Vorgesetzten deswegen nie Vorwürfe gemacht», sagt Katalin Karikó gegenüber SRF, die auf Einladung der Universität Zürich die Schweiz besucht hat. «Er hat damals einfach nach Vorschrift gehandelt und festgestellt, dass mRNA-Forschung dem Institut weder Lorbeeren noch Drittmittel einbrachte.»
Unerkanntes Potenzial
Vor zwei Jahren, inzwischen war Katalin Karikó bereits berühmt, begegnete sie ihrem früheren Vorgesetzten wieder. Er habe ihr erzählt, dass er einen öffentlichen Vortrag über sie plane.
«Ich sagte zu ihm: Über mich? Worüber wirst du reden?»
Seine Antwort: «Über die Frage: Wie konnten wir es verpassen!»
Rückblickend ist es ein Rätsel: Wie die älteste Universität der USA, wie unzählige Kolleginnen und Kollegen Karikós nicht erkannt hatten, dass die Ungarin während Jahrzehnten einer grossen Sache auf der Spur war; einer Sache, die eines Tages Millionen von Menschenleben retten würde.
Diese grosse Sache war die mRNA-Technologie, die der Covid-Impfung zugrunde liegt. In ihrer Autobiografie «Breaking Through» schreibt Karikó:
«Das Konzept hatte mich immer fasziniert: Man könnte den Körper instruieren, mit Boten-RNA bestimmte Eiweisse sozusagen auf Bestellung herzustellen, zum Beispiel Antikörper gegen Krankheiten. Was für ein fabelhafter Weg das wäre, dem Körper zu helfen, sich selbst zu heilen!»
Neustart in den USA
1989 emigriert Katalin Karikó mit Mann und Kind in die USA. An der University of Pennsylvania findet sie eine Stelle als Assistenzprofessorin – schlecht bezahlt, aber immerhin: Sie kann ihre RNA-Forschung fortsetzen, mit der sie bereits in Ungarn begonnen hatte. Eines Tages begegnet sie am Kopierer dem Immunologen Drew Weissman. Dieser sucht nach neuen Wegen für eine Impfung gegen HIV. «Rückblickend kommt mir diese glückliche Fügung fast unglaublich vor», schreibt Karikó.
Zusammen mit Weissman gelingen Karikó die entscheidenden Experimente, nämlich: virale RNA-Moleküle so zu modifizieren, dass die Immunabwehr menschlicher Zellen sie nicht mehr zerstört. Das Forscherduo publiziert seine Ergebnisse zwischen 2005 und 2010 in hochrangigen Journals.
Mit Corona kam der Durchbruch
Karikó nützen diese Erfolge nichts: Weil die Sponsoren ausbleiben, wird sie entlassen. Sie macht trotzdem weiter: Nach ihrem Rausschmiss aus der Penn University stösst Karikó zur Firma BioNTech in Mainz. Ende 2019 kommt Corona – und für Katalin Karikó der Durchbruch. Damit nimmt auch die mRNA-Forschung richtig Fahrt auf.
Seit 2021 hat Katalin Karikó rund 130, zum Teil hoch dotierte Preise bekommen. Die Preisgelder gibt sie zum grossen Teil einer Forschungsgruppe der Universität Szeged weiter, wo sie seinerzeit studierte und jetzt offiziell Professorin ist.
Sie selbst brauche kein Geld. Und was ihre Rückschläge in der Vergangenheit anbelange, laute ihr Motto: «Nie einen Groll hegen. Das vergiftet einen nur – man muss loslassen.»