Eine mondhelle Augustnacht in der Biskaya. Gut 300 Kilometer vom Festland entfernt kommt es zu einem tödlichen Drama. Ein Blauflossen-Thunfisch gerät ins Visier hungriger Orcas, auch Schwert- oder Killerwale genannt.
Was nun folgt, ist ein High-Speed-Duell unter echten Meeressprintern. Beide Arten können mit rund 90 km/h durchs Wasser brettern: «Sie werden oft als ‹Ferraris der Meere› bezeichnet», raunt Jessica Rudd von der Universität Exeter in England und erzählt dann die Geschichte von den letzten Minuten im Leben des unglückseligen Thuns.
Jäger wird zum Opfer – und in Stücke gerissen
Demnach suchte der 80-Kilo-Fisch zunächst selbst nach Beute, «doch plötzlich schiesst er mit ungewöhnlich hoher Beschleunigung bis in 125 Meter Tiefe», so die Meeresbiologin. Genauso fix gehe es wenig später wieder nach oben.
Trotz seines irren Tempos kriegt aber wohl ein Killerwal den Blauflossen-Thun zu fassen. Laut Jessica Rudd ist er «in diesen Minuten auf den Rücken gedreht.» Der Thunfisch werde aus dem Wasser gehoben und dann in alle möglichen Richtungen bewegt: «Da reisst es ihn wohl in Stücke!»
Woher sie das weiss? Ein kleiner Multisensor und Datensammler hat das alles akribisch aufgezeichnet, implantiert in der Rückenflosse des Orca-Opfers. Das «Mini-PAT» wurde prompt mitverschlungen und später an einen französischen Strand gespült, sodass Jessica Rudd die Daten komplett auslesen konnte: «Solch ein Gerät kann bis zu zwei Jahre lang aufzeichnen und speichert seine Messwerte alle fünf Sekunden», begeistert sich die Britin.
Die Daten zeigen: Es war kein Weisser Hai
Dass der Thunfisch irre schnell zu fliehen versuchte und später kopfüber schwebte? Ergibt sich aus den Daten eines 3D-Sensors, der Beschleunigungen in allen Raumrichtungen erfasst.
Dass er am Ende in der Luft zappelte? Zeigt ein Lichtsensor, dem Mondschein nicht entgeht.
Dass der tödliche Gegner kein Weisser Hai war? Verraten Jessica Rudd die Messwerte des Thermometers. Kurz nach dem Festmahl sei es auf 36 Grad Celsius gestiegen: «Das passt zur Körpertemperatur eines Killerwals.» Ein Weisser Hai dagegen «hat definitiv keine 36 Grad.»
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Bild 1 von 2. Der Multisensor (Mini-PAD) wurde in die Rückenflosse eines Blauflossen-Thunfischs implantiert, von einem Orca nach erfolgreicher Jagd verschlungen und in Frankreich an Land gespült. Bildquelle: Tom Horton.
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Bild 2 von 2. Dank eingravierter E-Mail-Adresse konnte der Sensor schlussendlich von der Finderin an die Forschenden retourniert werden. Bildquelle: Tom Horton.
Theoretisch könnte der Thunfisch auch von einem Zwerggrindwal oder von einem Kleinen Schwertwal erwischt worden sein. Diese beiden Arten treffe man aber eher selten in der Biskaya an, sagt Jessica Rudd. Bestätigt sieht sie sich überdies durch Filmaufnahmen von beutemachenden Orcas, die es inzwischen aus dem Gebiet gebe. Auch hier: «Ein Killerwal hält einen Thunfisch kopfüber in die Luft und gibt seiner Familie davon zu fressen.»
Erste Daten eines wildlebenden Orcas
Das zigarrengrosse Mini-PAT muss sich übrigens im Schlund eines der Orcas verhakt haben. Laut Thermometer wurde es der Killerwal erst nach elf Tagen irgendwie wieder los.
Bis dahin sammelte das Gerät weiter fleissig Daten – die ersten aus einem wildlebenden Orca! Der hatte im Schnitt sieben Mahlzeiten am Tag. So ein Meeres-Ferrari muss also ziemlich oft nachtanken! Woher Jessica Rudd auch das weiss? Weil Orcas mit jedem Bissen zugleich kühles Meerwasser schlucken. Und weil auch diese kurzen Kältespitzen in den hochaufgelösten Temperaturdaten erkennbar sind.