Fast jeder kennt sie: Rückenschmerzen. 88 Prozent der Schweizer und Schweizerinnen leiden gemäss Rückenreport der Rheumaliga mindestens einmal pro Jahr daran.
Meistens verschwinden die Schmerzen nach ein paar Tagen wieder. Doch bei jedem Zehnten bleiben sie und werden chronisch.
Ursache: unbekannt
Nur etwa 15 Prozent der Rückenschmerzen lassen sich auf eine eindeutige Ursache wie einen Bandscheibenvorfall oder einen Wirbelbruch zurückführen. Bei den restlichen 85 Prozent sagt die Bildgebung häufig nichts über die Schmerzursache aus.
«Der Rücken ist ein komplexes Gebilde mit Wirbeln, Gelenken, Gelenkkapseln, Muskeln und Bändern», sagt Sabina Hotz Boendermaker, Psychologin und Physiotherapeutin an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW. «Einerseits muss er stabil sein, um das Rückenmark zu schützen, andererseits muss er alle Bewegungen aushalten. Da kann gut ab und zu mal etwas verletzt sein.»
Solche Verletzungen sind keine Gefahr für den Körper und sollten theoretisch rasch abheilen. Doch manchmal kann ein Ungleichgewicht zwischen Belastung und Belastbarkeit entstehen. Die Schmerzen verselbstständigen sich.
Schmerzsignale ausser Kontrolle
Denn wenn man sich am Rücken verletzt, wird ein Signal über das Rückenmark an das Gehirn gesendet. Dieses Signal wird in bestimmten Hirnregionen verarbeitet, sodass wir den Schmerz dann auch fühlen. Je länger ein Schmerzreiz besteht, desto leichter leiten unsere Nerven die Informationen ans Gehirn. Die Signale dringen immer stärker ins Bewusstsein.
Wir wissen, dass chronischer Schmerz die Schmerzverarbeitung im Gehirn verändert.
Dauert der Schmerzreiz an, kann es zudem zu Veränderungen in den für die Verarbeitung des Schmerzsignals zuständigen Hirnregionen kommen. Im schlimmsten Fall benötigt das Gehirn dann gar keinen Auslöser im Rücken mehr, um Schmerzen zu signalisieren.
«Wir wissen, dass chronischer Schmerz die Schmerzverarbeitung im Gehirn verändert. Das ist ein Lernprozess», sagt André Ljutow, Orthopäde und Schmerzspezialist am Zentrum für Schmerzmedizin Nottwil. «Genauso wie man chronischen Schmerz – in Anführungszeichen – lernen kann, kann man ihn auch verlernen.»
In kleinen Etappen zum Zwischenziel
Allerdings: «Schmerz verlernen, ist harte Arbeit», weiss Susanne Hartmann-Fussenegger, Neurologin am Schmerzzentrum des Kantonsspitals St. Gallen. Es sei wichtig, sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen. Kleine Etappenziele sind gefragt.
So ist es etwa möglich, ein Schmerzprotokoll zu führen. Es hilft, die Schemata hinter den Schmerzen zu erkennen. In einem zweiten Schritt gilt es, die schmerzauslösenden Situationen zu analysieren und zu optimieren.
Beginnen die Schmerzen beispielsweise nach 20 Minuten Spazieren, reduziert man die Gehzeit auf 15 Minuten und versucht diese nach und nach zu steigern. Verursacht das Staubsaugen Rückenschmerzen? Vielleicht können Pausen dazwischen Abhilfe schaffen. Allenfalls lassen sich die Schmerzen auch mit einer bewussteren Haltung reduzieren.
Bewegen statt schonen
Mit Blick auf ein schmerzfreieres Leben ist es zentral, trotz Schmerzen in Bewegung zu bleiben. «Früher war die Meinung, dass man sich schonen muss», sagt Martina Roffler, Physiotherapeutin bei Rheumaliga Schweiz. «Heute weiss man es besser: Man soll sich bewegen, in alle Richtungen, mit allen Muskelgruppen.» Dabei kommt es nicht so darauf an, was man macht. Hauptsache, es macht Spass.
Wichtig zu wissen: Wenn man sich bewegt oder Rückenübungen macht, darf es durchaus etwas schmerzen. «Kaputtmachen, kann man sich nichts», sagt Martina Roffler. «Sofern der Schmerz nach ein paar Stunden wieder vergeht.»
Schliesslich ist es auch zentral zu verstehen, dass Stress Schmerzen verstärken kann. Deshalb ist es ebenso wichtig, sich Auszeiten, Entspannung und positive Momente zu gönnen.