Immer wieder machen Skandale über Antibiotikarückstände in Fleisch die Runde. Ein Problem, das die Schweiz eher weniger betrifft - aus verschiedenen Gründen. Die Probleme hierzulande liegen woanders.
Zwar kommen Antibiotika auch in der Schweiz zum Zuge, vor allem in der Massentierhaltung, wo junge Tiere aus verschiedenen Höfen zusammenkommen. Damit sie sich untereinander gar nicht erst mit möglichen Krankheiten anstecken, erhalten alle Kälber in solchen Grossbetrieben präventiv Antibiotika - zehn Tage lang und nach einer zweiwöchigen Pause erneut zehn Tage. Aber: Zum Schutz des Verbrauchers muss das Fleisch bei der Schlachtung antibiotikafrei sein. Darum gibt es für jedes Medikament eine Absetzfrist. Dass alle Bauern sich daran halten, stellen verschiedene Kontrollen sicher:
- Stalljournal: Bekommt ein Nutztier ein Antibiotikum, muss dies der Bauer hier dokumentieren. Wird das Tier während der Absetzfrist geschlachtet, veranlasst der amtliche Tierarzt daraufhin die nötigen Laboranalysen.
- Jedes Tier wird vor der Schlachtung, aber auch danach von einem amtlichen Tierarzt beurteilt. Gibt es Anzeichen (wie z. B. eine Organveränderung), die auf eine nicht deklarierte Antibiotikum-Anwendung hinweisen, folgen Laboranalysen.
- Das Monitoringsystem des Bundesamts für Veterinärwesen untersucht stichprobenartig.
Grösseres Problem: multiresistente Bakterien
Auch wenn Antibiotika derzeit eher für negative Schlagzeilen sorgen: Die Erfindung des Penicillins, der Mutter aller Antibiotika, durch Alexander Fleming im Jahr 1928 war ein Segen, der sich heute vielerorts auch zum Fluch entwickelt. Denn der exzessive Einsatz dieser Medikamente an Mensch und Tier beschleunigt die Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen – insbesondere, wenn sie nicht fachgerecht verabreicht werden, die Einnahme unsachgemäss und die Behandlungsdauer z. B. zu kurz ist. Die Folge: Bakterien lernen, sich gegen die Fülle verschiedenster Antibiotika zur Wehr zu setzen. Dadurch wiederum können Infektionskrankheiten lebensbedrohlich werden, die vormals gut mit einem bestimmten Antibiotikum behandelbar waren. Ärzten sind somit in der Therapie von Mensch und Tier zunehmend die Hände gebunden.
Weil sich Menschen durch kontaminiertes Fleisch mit antibiotikaresistenten Keimen infizieren können, ist im Umgang mit rohem Fleisch Vorsicht geboten - zumal, wenn man die Untersuchungsergebnisse des Teams von Roger Stephan von der Universität Zürich kennt. In einer nicht repräsentativen Studie vom letzten Jahr fand sein Team sogenannte ESBL-produzierenden Bakterien - Erreger, die nicht nur gegen eines, sondern gleich mehrere Antibiotika immun sind. 600 Varianten dieser Keime sind bekannt. Im Kot von 15 Prozent der Schweine, 13 Prozent der Rinder, 8 Prozent der Schafe und sogar 63 Prozent der Hühner waren sie nachweisbar. „Die weite Verbreitung dieses Resistenzmechanismus ist alarmierend“, warnt Roger Stephan. Eine Genfer Studie aus dem Jahr 2012 zeigt, dass bereits fast jedes rohe Poulet solche ESBL-Keime auf sich trägt. Erhitzen jedoch zerstört diese Bakterien. Darum ist eine richtige Küchenhygiene sehr wichtig. Rohes Poulet darf zum Beispiel nicht auf dem gleichen Küchenbrett und mit dem gleichen Messer geschnitten werden wie anschliessend die Tomate für den Salat. Das untersuchte Rinds- und Schweinshackfleisch wie auch die Milch waren frei von diesen ESBL-Bakterien - laut den Forschern wohl dank hoher Hygienestandards.
5.8 Prozent der Schweizerbevölkerung mit ESBL
Untersuchungen zeigen, dass bereits 5.8 Prozent der gesunden Schweizer multiresistente Bakterien des Typs ESBL in sich tragen. Für Gesunde ist das kein Problem, denn diese Bakterien sind oft ein Teil der gesunden Darmflora. Lösen diese Bakterien aber eine Infektion aus, eine Blasenentzündung etwa, der die körpereigenen Abwehrkräfte nicht Herr werden, kann es zu Komplikationen kommen, weil die Medikamente nicht anschlagen. Damit nicht genug: Antibiotikaresistente Bakterien können die Fähigkeit zur Resistenz relativ einfach durch Gen-Übertragung an andere Bakterien weitergeben.
Tiere sind bei der Übertragung multiresistenter Keime nicht der einzige Risikofaktor. Auch der Mensch selbst spielt eine Rolle, auch wenn noch nicht alle Infektionswege erkannt sind. Unter Verdacht stehen auch Gewässer, die durch verseuchte Gülle, aber auch durch menschliche Abwässer kontaminiert worden sind. Laut einer weiteren Untersuchung von Roger Stephan, Professor für Lebensmittelsicherheit und -hygiene, enthalten 36 Prozent der Gewässer, die unterhalb von 1000 Metern Höhe liegen, multiresistente Bakterien. Urbane Räume sind am stärksten belastet. Am höchsten waren die Werte im Rhein zwischen Basel und der Aaremündung.
Umdenken ist gefragt
Der einzige Ausweg: ein bedachter Umgang mit Antibiotika. Häufig ist ihr Einsatz unnötig oder zu kurz – beim Mensch wie beim Tier. „Je länger, desto mehr wird klar, dass es eine gesamthafte Lösung braucht, ein „One Health Approach“. Humanmedizin, Veterinärmedizin und die Landwirtschaft müssen am gleichen Strick in die gleiche Richtung ziehen», fordert Roger Stephan.
Breitband-Antibiotika sollten nur dann eingesetzt werden, wenn schmalere Wirksubstanzen nicht ausreichend wirken. Die Tierhaltung sollte so angepasst sein, dass Tiere erst gar nicht mehr krank werden. Doch das hat seinen Preis. Konsumenten müssen für Lebensmittel aus solch einer Produktion auch bereit sein, ein paar Franken mehr auszugeben. Dass die Zeit drängt, ist auch dem Bundesrat klar. Das Bundesamt für Gesundheit BAG ist damit beauftragt, gemeinsam mit den Bundesämtern für Veterinärwesen BVET und Ladwirtschaft BLW bis 2015 eine Strategie zu erarbeiten, wie diese Resistenzen eingedämmt werden können.
Bio ist eben doch besser
Ein Bio-Label stellt besondere Anforderungen an die Tierhaltung, die über die gesetzlichen Forderungen hinausgehen. Jedes Label definiert diese Anforderungen anders.
Allerdings: Auch Fleisch mit Bio-Label ist nicht automatisch gleichzusetzen mit „antibiotika-freier“ Aufzucht. Denn im Krankheitsfall, wenn komplementärmedizinische Massnahmen nicht ausreichen und auf Anordnung des Tierarztes dürfen auch hier Antibiotika eingesetzt werden – genau festgehalten im Stalljournal. Sicher ist nur: In Bio-Betrieben bekommt kein Tier vorbeugend Antibiotika.