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Bakterien sind besser als ihr Ruf

Nur im Mutterleib lebt der Mensch in einer bakterienfreien Zone. Bakterien gehören zur Umgebung, sobald der Mensch zur Welt gekommen ist. Deshalb existieren die meisten auch in friedlicher Harmonie mit dem Menschen. Trotzdem haben die winzigen Einzeller ein sehr schlechtes Image – oft zu Unrecht.

Bakterien sind sehr anpassungsfähig und kommen deshalb überall auf der Erde vor. Man findet sie im Meer, in der Erde, in Flüssen, in Seen und auf allen Oberflächen, konserviert in Schnee und Eis. Selbst in der Luft kann man Bakterien finden.

Auch lange nach der Beschreibung der ersten Bakterien und trotz unzähliger schon katalogisierter Arten ist heute klar, dass die grosse Mehrheit aller auf unserem Planeten existierenden Bakterienarten noch nicht näher bekannt ist.

Aus praktischen Gründen werden Bakterien nach ihrer Form unterteilt. Dabei bezeichnet man kugelige Bakterien als Kokken, längliche, zylindrische Bakterien als Bazillen und spiralige, wendelförmige Bakterien als Spirillen oder Spirochäten. Diese Grundformen können einzeln auftreten oder sich zu typischen Formen zusammenfinden (Haufenkokken = Staphylokokken, Kettenkokken = Streptokokken, Doppelkokken = Diplokokken).

Bakterien auch auf dem Menschen

Es ist ganz normal, dass Menschen von Bakterien besiedelt ist. Man redet hier von der Normalflora. 100 Billionen Bakterien leben in und auf dem Menschen, der grösste Teil von ihnen ist überlebenswichtig.

Auf der Haut beispielsweise leben die Bakterien im dünnen Schweissfilm der Hautoberfläche. Sie ernähren sich von Hautschuppen und Talgresten und sorgen dafür, dass sich «schlechte» Bakterien wie der Eitererreger Staphylococcus aureus nicht ausbreiten können. Auf trockenen Hautstellen leben ungefähr 1000 Bakterien pro Quadratzentimeter, auf feuchten wie in Achselhöhlen oder im Genitalbereich sind es gar eine Million pro Quadratzentimeter.

Im Körperinneren, vor allem im Darm, hat diese Normalflora eine noch beeindruckendere Dichte: 10 bis 100 Milliarden Bakterien pro Kubikzentimeter. Das entspricht 90 Prozent der gesamten Bakterienbesiedelung eines Menschen. Das sind so unglaublich viele, dass im gesamten Darm ungefähr zehn Mal mehr Bakterien siedeln als der Mensch Körperzellen hat. Dies entspricht ungefähr ein bis zwei Kilogramm des Körpergewichts eines erwachsenen Menschen.

Im Darm helfen die Bakterien dem Menschen bei der Verdauung. Sie sind für die Produktion einzelner Vitamine (Vitamin B12 durch Bacillus und Clostridium, Vitamin K durch E.coli), die Rückgewinnung von Cholesterin (Bacteroides, Lactobacillus und Bifidobacterium) und den Aufschluss komplexer Kohlenhydrate (Bacteroides, Clostridium) zuständig.

Ausserdem dienen uns die Darmbakterien als zusätzlicher Schutz vor Krankheitskeimen. Die Krankheitserreger müssen sich nämlich erst einmal gegen die Darmbakterien durchsetzen, bevor sie den Menschen angreifen können. Bei Mäusen wurde dies eindrücklich gezeigt: Mäuse mit einer intakten Darmflora konnten 500'000 Mal mehr Salmonellen zu sich nehmen, bevor sie erkrankten, als Mäuse ohne jegliche Darmbakterien.

Die Bakterien sind jedoch nicht überall. So sind alle inneren Organe (ausser dem Verdauungstrakt) wie auch das Blut generell bakterienfrei. Hat man dennoch Bakterien im Blut, spricht man von einer Blutvergiftung.

Wird man die Bakterien auf der Haut durch Waschen los?

Beim Händewaschen reduziert man die Anzahl der Bakterien auf der Hautoberfläche. Ganz weg bringt man sie aber nicht, denn Bakterien besiedeln auch die Poren der Haut.

Aber durch Waschen kann man auch Krankheitserreger, die auf der Haut leben und durch Handkontakt übertragen werden, reduzieren. Deshalb macht Händewaschen durchaus Sinn. Man sollte es allerdings nicht übertreiben, denn man braucht die Normalflora auf der Haut. Würde man sich die Hände ständig waschen, würde die Normalflora geschwächt, was Krankheitserregern mehr Platz bietet, um sich auszubreiten.

Wie kommt der Mensch zu den Bakterien, die ihn besiedeln?

Als Embryo im Mutterleib ist jeder Mensch noch «keimfrei». Mit der Geburt ändert sich das aber schlagartig. Der Säugling wird dabei mit einem Mal in die Welt der Bakterien katapultiert.

Schon während der Geburt, auf dem Weg durch den Geburtskanal, nimmt das Kind die ersten Bakterien auf – hauptsächlich Vaginal- und Darmbakterien der Mutter. Sie lassen sich auf der Haut, aber auch im Mund und Darm des Neugeborenen nieder. Bei einer Geburt durch Kaiserschnitt sind es andere Bakterien als bei einer Spontangeburt, da der Weg durch den Geburtskanal fehlt. Ob dieser Unterschied von Bedeutung ist, ist noch nicht bekannt.

Die nächsten Bakterien nimmt das Kind mit der Nahrung auf. Muttermilch ist nicht steril und enthält Bifidusbakterien sowie Nährstoffe, die gezielt das Wachstum der Bakterien fördern. Durch das Stillen siedeln sich hauptsächlich Bifidusbakterien und Lactobazillen im Darm der Neugeborenen an. Werden die Kinder mit Kunstmilch ernährt, besiedeln andere Bakterien den Darm. Die Zusammensetzung gleicht eher derjenigen eines Erwachsenen und enthält auch mehr Krankheitserreger.

Mit der Umstellung auf feste Nahrung ändert sich die Darmflora nochmals grundlegend. Jeder Mensch entwickelt ein individuelles Muster, welches für den Grossteil des Lebens stabil bleibt. Einzig durch die Nahrung (auf Reisen) oder durch Therapien mit Breitbandantibiotika ändert sich diese Zusammensetzung. Setzt man jedoch die Antibiotika ab oder kehrt zur gewohnten Ernährung zurück, regeneriert sich die Bakterienzusammensetzung wieder und kehrt zum ursprünglichen Muster zurück.

Was ist ein Probiotikum?

Als Probiotikum bezeichnet man ein Produkt, welches entweder mit lebenden Bakterien angereichert wurde oder vollständig aus ihnen besteht. Die Bakterien sollten menschlichen Ursprungs sein, den Magen passieren ohne verändert zu werden und sich in der Dickdarmschleimhaut anhaften können.

Dort sollten sie eine gesundheitsfördernde Wirkung entfalten. Die Bakterien können einerseits Lebensmitteln (hauptsächlich Milchprodukten) zugegeben oder in Kapselform als Medikamente abgepackt werden. Generell gilt, dass die Kapseln den Magen besser passieren können und somit mehr Bakterien im Darm ankommen als bei einem Lebensmittel.

Die Wirkung von probiotischen Medikamenten ist viel besser und vor allem bei bestimmten Krankheiten untersucht. Heute schon werden regelmässig probiotische Medikamente zur Behandlung von antibiotika-assoziierten Durchfallerkrankungen und bei Darmerkrankungen wie der Autoimmunkrankheit Colitis ulcerosa erfolgreich eingesetzt. Der grosse Vorteil ist, dass die Bakterienpräparate praktisch keine Nebenwirkungen haben. Die Wirkung aller probiotischen Produkte hält allerdings nur solange an, wie die Bakterien zugeführt werden. Setzt man ein Probiotikum ab, verschwinden die Bakterien nach und nach wieder aus dem Darm.

Grundsätzlich muss jedes probiotische Bakterium einzeln auf seine Wirkung hin untersucht werden, denn jedes hat spezifische Eigenschaften. Es ist nicht möglich, von der Wirkung eines Bifidusbakteriums auf Laktobazillen oder E.coli zu schliessen.

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