Maurane Wüthrich war noch nicht volljährig, als sie sich mit der Möglichkeit eines frühen Todes auseinandersetzen musste. «Für mich war klar: Ich werde als Erste der Familie sterben, und das schon in meinen Zwanzigern – that’s it», sagt sie rückblickend auf diese Zeit.
Maurane Wüthrich ist 27 Jahre alt und hat Cystische Fibrose (CF), eine vererbbare Stoffwechselkrankheit. Seit früher Kindheit musste sie täglich inhalieren und den zähen Schleim abhusten, der sich in ihrer Lunge festgesetzt hatte.
Doch dann ist vor drei Jahren das Medikament Trikafta in der Schweiz zugelassen worden, welches das Leben von Betroffenen radikal verändert hat. So auch bei Maurane Wüthrich: Statt früh zu sterben, lebt sie heute ein fast normales Leben.
Auch Mauranes ältere Schwester Sarah Dincer hat Cystische Fibrose. Dank Trikafta konnte die 29-Jährige sich ihren Kinderwunsch erfüllen, den sie wegen der Krankheit schon fast abgeschrieben hatte. Am 24. Dezember 2021 hat sie ihren Sohn geboren, Malik. «Er ist unser grösstes Glück», sagt Sarah.
Allerdings hat Trikafta einen Haken: Es ist eines jener Medikamente, die richtig teuer sind. Eine Monatspackung kostet 15'000 Franken, pro Jahr also 180'000 Franken – für eine einzige Person. In der Schweiz sind rund 1000 Menschen von CF betroffen, 800 von ihnen nehmen Trikafta.
Wie die Gesellschaft und die Gesundheitsbehörden mit solchen innovativen, aber teuren Medikamenten umgehen, ist eine offene Diskussion. Im Fall von Trikafta hat sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit der Herstellerin, der US-Pharmafirma Vertex, auf einen tieferen Listenpreis einigen können, der ab 2025 gilt. Davon später.
Mit roten Flecken fing es an
Zurück zu den Schwestern: Es ist Sarah, bei der sich die Krankheit damals zuerst bemerkbar macht. «Ich hatte als Kind eine ganz normale Entwicklung», erzählt sie. «Trotzdem brachte mich meine Mutter ständig zum Kinderarzt, weil sie dachte, irgendetwas stimme nicht mit mir.» Das Gefühl von Sarahs Mutter ist richtig: Eines Tages hat Sarah rote Flecken an den Beinen, sie ist damals sieben.
Dem Hausarzt kommt dies verdächtig vor, er nimmt dem Mädchen Blut ab und überweist es zur weiteren Abklärung ins Universitätsspital. Zwei Bilder hätten sich in ihrer Erinnerung eingeprägt, erzählt Sarah: «Ich weiss noch, wie ich damals in der Kinderklinik mit dem Koffer gewartet habe, um auf mein Zimmer gebracht zu werden. Und das zweite Bild: Ich liege im Bett und schaue zu, wie ein anderes Bett in mein Zimmer hereingebracht wird. Und darin liegt meine Schwester.»
Maurane, damals fünf, kann sich deutlich an eine Szene von zu Hause erinnern, als sie mit ihrem Bruder Pierre – dem Ältesten der drei Geschwister – in ein Spiel vertieft war. «Meine Mutter kam dazu und sagte zu uns, dass Pierre gesund sei. Und dass ich es habe.»
«Es»: Das war die Krankheit, Cystische Fibrose. Verursacht durch ein einziges Gen, das dann an ein Kind vererbt werden kann, wenn Mutter und Vater Kopie in ihrem Erbgut tragen. Rein statistisch besteht bei dieser Konstellation ein Risiko von 1:4, dass ein Kind tatsächlich erkrankt, man spricht in der Medizin von einem «autosomal-rezessiven Erbgang». Bei den Wüthrichs tifft es zwei von drei Kindern: Sarah und Maurane.
Ständiger Ausnahmezustand – dafür alles im Doppelpack
Natürlich wissen die Schwestern als Sieben- bzw. Fünfjährige nicht um die Tragweite der Diagnose. Für sie wird das Leben mit CF zum Alltag, und der ist aufwendig: Jeden Tag Physiotherapie, je eine Stunde morgens und abends, um den Schleim aus den Atemwegen zu bekommen; jeden Tag viele Medikamente schlucken; und jedes Mal, wenn in der Schule ein harmloses Erkältungsvirus zirkuliert, damit rechnen, dass sie sich garantiert anstecken und ernsthaft krank werden.
Doch Sarah und Maurane ertragen vieles mit kindlicher Leichtigkeit, zumal sie ihr Leid teilen. «Im Spital bekamen wir alles im Doppelpack – die Ärzte, die Krankenschwestern, die Therapien, wir hatten mega Spass», erzählen sie.
Richtig ernst wird es für die Schwestern erst später: Typischerweise für CF verschlimmern sich die Krankheitsanzeichen in der Pubertät, die Spitalaufenthalte häufen sich.
Besonders schlecht geht es Maurane: Schon mit 16 rechnet sie damit, früh zu sterben. Sie verbringt Wochen, Monate im Spital. Phasenweise ist sie auf Sauerstoff angewiesen, nach dem 20. Geburtstag wird die Sauerstoffflasche zu einer ständigen Begleiterin.
Sarah geht es im Vergleich zu ihrer Schwester etwas besser, doch die Krankheit belastet auch sie zusehends. Auch sie ist sehr oft im Spital. Trotzdem können beide Schwestern eine Ausbildung machen: Maurane zur Primarlehrerin, Sarah via kaufmännische Lehre zur Zollbeamtin.
Ungeduldiges Warten auf Trikafta
Und dann tritt 2021 in der Schweiz Trikafta auf den Plan. Ein Wundermittel, das in den USA schon im Jahr zuvor zugelassen worden ist und in der CF-Community für Aufregung und Gesprächsstoff gesorgt hat.
Auch die beiden Schwestern haben auf Trikafta gewartet, vor allem Maurane: Ihr geht es zu dieser Zeit ganz besonders schlecht, sie liegt mit Corona im Spital. «Meine Ärztin hatte alles Administrative so vorbereitet, dass ich das Medikament unverzüglich bekommen sollte, sobald es zugelassen war», erzählt sie.
Ich begann, das Leben zu geniessen, bin viel gereist – und habe dann mein Pensum als Lehrerin aufgestockt.
Als es so weit ist, gleicht Mauranes Verlauf einer wundersamen Heilung: Innerhalb von drei Tagen erholt sie sich und kann das Spital verlassen. Sauerstoff braucht sie ab dann nie mehr. «Ich begann, das Leben zu geniessen, bin viel gereist – und habe dann mein Pensum als Lehrerin aufgestockt.»
Auch Sarah, die früh geheiratet hat, eröffnet Trikafta neue Perspektiven, nämlich: vielleicht ein Kind zu bekommen. «Mit Cystischer Fibrose ist es schwierig, auf natürlichem Weg schwanger zu werden», erzählt sie. «Doch ich wusste aus den USA, dass es dort dank Trikafta einen ‹Babyboom› unter CF-Betroffenen gegeben hatte. So war ich hoffnungsfroh.»
Drei Monate, nachdem sie begonnen hat, das Medikament zu nehmen, ist sie schwanger. Ihr Sohn muss in der 31. Woche per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden – Sarahs Lungen machen die Schwangerschaft nicht mehr mit. Malik ist gesund, und es geht ihm gut trotz der Frühgeburt. CF kann bei ihm im Neugeborenen-Screening ausgeschlossen werden.
Das Unglück der anderen belastet die Schwestern
Sarah ist im Babyglück, Maurane lebt ihr freies Leben: Hier könnte die Geschichte enden. Doch das tut sie nicht, denn es gibt diverse Twists.
Wir hatten Hemmungen, unser Glück öffentlich zu machen.
Der eine betrifft die Schwestern selbst: Sie, die vor Trikafta einen aufwendigen Instagram-Account bewirtschaftet haben, ziehen sich 2021 aus den sozialen Medien zurück. «Wir hatten Hemmungen, unser Glück öffentlich zu machen», erklärt Sarah. Weil das eigene Glück anderen schaden könne. Nämlich jenen CF-Betroffenen, die von Trikafta nicht profitieren können, wegen starker Nebenwirkungen etwa, oder weil sie eine genetische Mutation von CF haben, die auf das Medikament nicht anspricht.
Auch lungentransplantierte CF-Patienten dürfen Trikafta nicht nehmen. Gegenüber dieser Gruppe hat vor allem Maurane ein schlechtes Gewissen, denn sie liess sich für diese Massnahme abklären. «Für mich bin ich froh, dass die Ärzte noch abwarten wollten – doch diese anderen, die kurz vor der Zulassung von Trikafta operiert wurden, tun mir leid.» Denn es gebe keine Garantie, wie gut Spenderlunge funktioniere.
Und dann beschäftigt die Schwestern auch die Kostenfrage von Trikafta. «Der Preis ist völlig überrissen», sagt Sarah. Man könne als CF-Betroffene froh sein, in der Schweiz zu leben, wo das Medikament von den Krankenkassen bezahlt werde. Aber, betont Sarah: «Der Nutzen von Trikafta ist unbezahlbar, denn das Medikament hat das Leben meiner Schwester gerettet.»
Ringen um den Preis
Der Nutzen von Trikafta ist unbestritten – sein hoher Preis jedoch nicht. Das Bundesamt für Gesundheit, zuständig für die Festlegung von Medikamenten hierzulande, hat zu Trikafta eine Kosten-Nutzen-Bewertung, ein sogenanntes HTA durchführen lassen.
Dabei wurden für das Medikament auch die Kosten für ein «Qualy» eruiert. Das Wort kommt aus dem Englischen – Quality Adjusted Life Year – und ist eine Kennzahl, die ein Lebensjahr im Verhältnis zur Gesundheit bewertet. Gemäss Bericht des Bundesamts schlägt ein «Qualy» für Trikafta mit mehr als einer Million Franken zu Buche. Ein enormer Betrag.
Doch nun ist Besserung in Sicht: Ab 2025 wird Trikafta auf der Spezialitätenliste der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu einem tieferen Preis aufgeführt. «Es freut uns, dass wir mit der Herstellerfirma Vertex eine Einigung zugunsten der Sozialversicherungen erzielt haben und den Zugang zu Trikafta für CF-Patientinnen und -Patienten weiterhin gewähren können», sagt BAG-Vizedirektor Thomas Christen gegenüber SRF. Auch die Patientenorganisation Cystische Fibrose Schweiz hat sich beharrlich für einen tieferen Preis des Medikaments eingesetzt.
Wie hoch oder um wie viel niedriger der neue Preis ist, geben aber weder das BAG noch Vertex preis. Das sei geheim.
Raum für Zukunftspläne
Sarah und Maurane sind froh, dass sie weiterhin auf Trikafta zählen können. Sie sind zwar nicht gesund – aber das Medikament gibt ihnen Raum für Zukunftspläne. Maurane ist inzwischen verlobt und möchte auch eine Familie gründen. «Wir haben schon einen kleinen Hund», sagt sie lachend.
Sarah hat ein sehr klares Ziel vor Augen: «Mein grösster Wunsch ist, dass Trikafta so lange bei mir wirkt, bis Malik 18 Jahre alt ist.» Sie würde zwar gerne alt werden, aber: «Ich muss mindestens so lange leben, bis mein Kind volljährig ist. Sodass ich dereinst mit einem ruhigen Gewissen von dieser Welt gehen kann.»