Die Leidensgeschichte der jungen Horwerin beginnt im Herbst 2017. Jacqueline Rölli infiziert sich mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber. Eine langwierige Krankheit. Auf die Familie der Luzernerin wartet eine Geduldsprobe. An Weihnachten, endlich, geht es etwas besser. «Wir dachten: Langsam hat sie es geschafft», erzählt Mutter Eva Rölli. Aber dem ist nicht so.
Es folgt ein Auf und Ab. Geht Jacqueline Rölli eine Woche lang zur Schule, braucht sie danach doppelt so viel Zeit zur Erholung. Die kleinste Anstrengung führt zu grösster Erschöpfung.
Nach einer regelrechten Ärzte-Odyssee, über ein Jahr später, ist klar: Jacqueline Rölli leidet an Myalgischer Enzephalomyelitis – kurz ME/CFS. Auch bekannt unter dem Namen Chronic Fatigue Syndrom. Unheilbar. Und laut Schätzungen das Schicksal von bis zu 34’000 Menschen in der Schweiz.
Betroffene kämpfen um Akzeptanz
Die Symptome sind vielfältig. Im Falle der Luzernerin: Bleierne Müdigkeit, die trotz viel Schlaf nie vergeht. Ein Nebel im Kopf, der das Denken verunmöglicht, Buchstaben verschwimmen lässt. Und eben: maximale Erschöpfung.
Sie war total abhängig von uns.
In den schlechtesten Zeiten schafft Jacqueline Rölli nicht mal die vier Meter bis zum WC. Die Familie muss sie auf ein Wägeli hieven. Eva Rölli: «Sie war total abhängig von uns.»
Anfänglich spürt die Luzernerin: Nicht alle nehmen die Krankheit ihrer Tochter ernst. So geht es vielen Betroffenen. Obwohl ME/CFS seit 1969 von der WHO als körperliche Krankheit anerkannt ist, müssen sie sich rechtfertigen. Sich gegen den Vorwurf wehren, sie seien faul oder depressiv. Eva Rölli will hier Gegensteuer geben – und bringt darum die Geschichte ihrer Tochter an die Öffentlichkeit.
Sie bleibt bis zu 23 Stunden im Bett
Heute ist Jacqueline Rölli 24 Jahre alt. «Mittlerweile geht es ihr ein wenig besser», sagt ihre Mutter. Besser heisst allerdings nicht gut. Studieren? Unmöglich. «Noch immer verbringt sie 22 bis 23 Stunden am Tag im Bett.» Sie isst im Bett, liest Comics im Bett, schaut Filme im Bett. «Und wenn sie einen guten Tag hat, spielt sie dort Ukulele.» Alles aber immer nur für kurze Zeit. Nach jeder Aktivität braucht sie eine Pause.
Weiterführende Informationen
Die Bettlägerigkeit sei der sogenannten Orthostatischen Intoleranz geschuldet, so Eva Rölli. «Wenn gesunde Menschen stehen, wird der ganze Körper durchblutet. Bei ME/CFS-Betroffenen funktioniert dies häufig nicht.» Aus diesem Grund seien sie oftmals ans Bett gefesselt.
Erforschung von Long Covid lässt Hoffnung aufkeimen
Noch immer ist das Chronic Fatigue Syndrom weitgehend unerforscht. Medikamente? Fehlanzeige. Seit der Pandemie keimt bei Eva Rölli aber Hoffnung auf, dass sich dies ändern könnte. Wegen Long Covid. Ähnliches Krankheitsbild, häufig ebenfalls junge Betroffene.
Wenn Spezialistinnen und Spezialisten die Ursachen von Longcovid ergründen, könnte dies Erkenntnisse für das Chronic Fatigue Syndrom bringen, sagt Eva Rölli. «Wenn jemand mit 20 wegen dieser Krankheit aus dem Arbeitsalltag gerissen wird, ist es im Sinne von uns allen, diese richtig zu behandeln und die betroffene Person in ein Erwerbsleben zurückzuführen.»
Geht es nach Eva Rölli, bräuchte es mehr finanzielle Mittel. Einerseits, um ME/CFS zu erforschen. Andererseits, um Betroffene zu unterstützen. Angezeigt wäre auch mehr Verständnis für Betroffene, die nur unter leichten Symptomen leiden. «Auch sie brauchen Akzeptanz.»