Altern? Das tun wir alle. Dagegen machen kann man wenig. Das Altern gehört zu uns – so wie das Gesetz der Schwerkraft zur Physik. So dachten lange Zeit die meisten seriösen Forscher. Doch dann kamen sie auf den Wurm.
1986 versuchte der US-Forscher Michael Klass in seinem Labor, Mutanten von Fadenwürmern herzustellen. Die winzigen Tierchen kommen natürlicherweise im Boden oder in faulenden Früchten vor.
Würmer, die doppelt so lang leben
Klass hoffte, durch zufällige Änderungen am Erbgut extrem langlebige Würmer herzustellen. Und tatsächlich: Er konnte Würmer erzeugen, die doppelt so lang lebten. Statt drei Wochen hielten sie sechs Wochen durch.
Warum die einen länger lebten als die anderen, da tappte Klass allerdings im Dunkeln. Erst 1993 konnte die Genforscherin Cynthia Kenyon zeigen, welche Genmutation dafür verantwortlich ist.
Das war der Durchbruch, sagt Collin Ewald, ein junger Altersforscher an der ETH Zürich: «Es war der Startschuss für die moderne Altersforschung.» Und damit das Ende der irrigen Überzeugung, das Altern, der fortschreitende Verfall, sei ein unverrückbares biologisches Gesetz.
Collin Ewald steht – an einem dieser viel zu heissen Sommertage 2018 – in seinem Labor in Zürich Schwerzenbach. In der Hand hält er eine kleine runde Plastikschale mit Deckel, eine Petrischale. Auch er arbeitet mit Fadenwürmern.
Ein Grund dafür ist, dass sie unschlagbar praktisch sind: «Sie brauchen eigentlich nur Nährmedium und Bakterien, dann sind sie glücklich.» In der Petrischale in seiner Hand haben locker hunderte Würmchen Platz, ohne dass es ihnen zu eng würde.
Altern im Zeitraffer
Ewald legt das Gefäss unters Mikroskop und lässt mich durchschauen. Ich erkenne sofort, welche Tiere jung sind und welche alt. Die einen wirken agil und fit, die anderen träge und schlapp.
Und: Ich sehe deutlich den Verfall, schliesslich sind die Tiere durchsichtig. Haut, Schlund, Darm und Muskeln der jungen Würmer sind tipptopp in Schuss.
Aber je älter die Tiere werden, umso fehlerhafter und schwabbeliger werden die Strukturen. Der Darm wirkt leck, die Muskeln schlaff, die Haut faltig.
Das Altern geht bei den Würmern rasend schnell: Spätestens nach zwei Wochen gilt ein Fadenwurm als alt, mit drei Wochen ist er schon hochbetagt. Die Forscher können den Tieren beim Altern also praktisch zusehen.
Collin Ewald interessiert sich vor allem für Collagen, also den Stoff, der alles zusammenhält: Er sorgt dafür, dass im menschlichen Körper Leberzellen gemeinsam eine Leber bilden, Darmwand und Blutgefässe dichthalten und unsere Haut straff und jung aussieht.
Ähnlichkeiten von Wurm und Mensch
Der Collagenhaushalt funktioniert im Wurm ähnlich wie im Menschen. Wie bei uns bilden auch im Wurm die Zellen das Gerüst, das sie später hält, selbst. Und sie halten es auch selbst in Stand, so lange sie es können.
«Dafür muss die Zelle aber irgendwie erfahren, wenn eine Reparatur notwendig wird. Dann muss sie die nötigen Ressourcen bereitstellen. Das funktioniert gut, solange der Wurm jung ist – und immer schlechter, je älter er wird», so der Wissenschaftler.
Medikamente, die den Alterungsprozess aufhalten
Die Frage ist, was genau beim alten Wurm «schiefgeht». Denn wenn sich das klären liesse, könnte man womöglich reparierend eingreifen. Auch wenn damit vielleicht nicht alle Alterungsprozesse aufzuhalten wären: Ein gutes, stabiles Gerüst, das sich lange hält, wäre schliesslich ein guter Anfang.
«Das ist es, was wir versuchen wollen: Wir versuchen zu verstehen, was passiert, um dann gezielt Medikamente finden oder entwickeln zu können, die den Alterungsprozess aufhalten», sagt Ewald.
Würmer unter Hitzestress
Um mehr herauszufinden, setzt er die Würmer unter Hitzestress, gibt ihnen Medikamente oder lässt sie hungern. All das verändert das Altern, treibt es an, oder bremst es aus.
Und immer schaut Collin Ewald sich ganz genau an: Was passiert dabei mit dem Collagen. Damit er das leichter erkennen kann, verändert er einen Teil seiner Würmer genetisch. Dadurch fluoreszieren ihre Zellen, wenn sie gerade Collagen bilden, unter blauem Licht grün.
Er zeigt mir auch solche Tiere. Falls ich beim ersten Blick durchs Mikroskop noch unsicher gewesen wäre, welche Tiere jung und welche alt sind, wäre spätestens jetzt jeder Zweifel ausgeräumt. Die jungen Tiere leuchten grell grün auf, während die alten nur noch an einigen Stellen grüne Flecken zeigen.
Die Forschung ist noch ziemlich unübersichtlich
Fadenwürmer sind für viele Altersforscher das Versuchstier der Wahl. Nicht zuletzt, weil ihr Erbgut unserem mehr ähnelt als man vielleicht vermuten würde.
Collin Ewald: «60 Prozent der Gene sind gleich. Das ist wirklich viel.» Einige Gene, die fürs Altern eine wichtige Rolle spielen, sind bei Wurm und Mensch beinahe identisch.
Doch Collagen ist unter Altersforschern nur ein möglicher Fokus von vielen. Die australisch-US-amerikanische Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn beispielsweise untersucht, wie die Struktur von Chromosomen, genauer die Länge der sogenannten Telomere, mit Stress und Altern zusammenhängen.
Was genau kontrolliert das Altern?
Andere konzentrieren sich auf die Mitochondrien, die Energiezentren der Zelle. Wieder andere fokussieren auf das Erbgut selbst und wie es vor Schäden beschützt wird. Eine zentrale Rolle spielt ziemlich sicher auch die Frage, wie Zellen sich selbst reinigen, wie sie Altes recyceln und Giftiges wegräumen.
Für die Erforschung dieser Prozesse, die man Autophagie nennt, gab es übrigens schon einen Nobelpreis. Ob vor allem einer dieser Prozesse oder am Ende doch alle zusammen das Altern kontrollieren, kann bis jetzt kein Forscher sagen.
Optimistische Prognosen
Die moderne Altersforschung ist mit gut 30 Jahren noch relativ jung. Echte positive Effekte, fassbar in mehr Lebenszeit, kann sie bisher nur bei Würmern oder Mäusen vorweisen.
Und es ist noch offen, ob die Forschung ihre Erkenntnisse auf den Menschen übertragen kann. Doch die Optimisten unter den Altersforschern sind sich sicher, dass die, die heute 40 oder 50 Jahre alt sind, schon von den Erkenntnissen profitieren werden.
Besonders im Fokus haben die Experten dabei Krankheiten, die klar mit dem Alter zusammenhängen: Herzkrankheiten, Diabetes, Krebs aber auch Parkinson, Demenz und Alzheimer. Sie alle werden häufiger, je älter ein Mensch wird.
Junges Blut
«Alter ist der Risikofaktor Nummer 1 für Alzheimer», sagt Tony Wyss-Coray, Forscher an der Stanford Universität in Kalifornien. Ursprünglich war er einmal Alzheimer-Forscher, doch nach dem x-ten Versuch, das, was in Mäusen funktioniert hatte, auf alzheimerkranke Menschen zu übertragen, wechselte er ins Lager der Altersforscher.
«Wenn wir das Altern verstehen und bremsen können, dann müssten wir auch in Alzheimer-Patienten einen Effekt sehen können», ist er überzeugt. Er hat deshalb klinische Studien initiiert, die untersuchen, ob Alzheimer-Patienten profitieren, wenn sie Blutplasma von jungen Spendern bekommen.
Diese zugleich schräge und bestechende Idee, dass junges Blut das Altern aufhalten könnte, stammt aus Mäuseversuchen. Tom Rando, dessen Labor in Stanford Tür an Tür mit dem von Wyss-Coray liegt, interessierte sich für Stammzellen, genauer für Stammzellen im Muskelgewebe.
Jungbrunnen für Muskel-Stammzellen
Diese stellen bei älteren Mäusen nämlich ihre Tätigkeit ein: Muskelverletzungen werden nicht mehr repariert, Training oder Anstrengung führen nicht mehr zu mehr Muskeln. Wenn es überhaupt zu einer Reaktion kommt, dann entzündet sich das Gewebe bei Belastung statt zu wachsen.
Rando wollte wissen, ob das Blut einer jungen Maus die Stammzellen in den Muskeln der alten Maus wieder «aufwecken» könnte. Deshalb machte er einen Versuch, der auch als Parabiose bekannt ist: Er nähte ein junges und ein altes Tier an der Flanke zusammen, sodass ihre Blutgefässe erst in die Wunde und dann in den Körper der anderen Maus hineinwuchsen.
Das Ergebnis: Kontinuierlich floss Blut von einer Maus in die andere und wieder zurück. Der Effekt war verblüffend. Die Stammzellen in den Muskeln wurden tatsächlich wieder aktiv und bildeten neues Gewebe.
Verjüngtes Gehirn
Wyss-Coray untersuchte dann, ob das, was im Muskel passierte, auch im Gehirn geschah. Die Antwort war: Ja! Die Stammzellen im Gehirn der alten Mäuse wurde aktiver und bildeten neue Nervenzellen. Auch die alterstypischen, vermutlich schädlichen Entzündungen im Gehirn der Tiere gingen zurück.
Alte Mäuse, die Blutplasma junger Tiere bekamen, wirkten im Versuch nicht nur jünger, sondern konnten sich in Gedächtnistests Verstecke besser merken oder fanden schneller aus einem Labyrinth wieder heraus.
Bis heute weiss er zwar nicht, was genau im Blut wie ein Jungbrunnen wirkt. Klar ist nur: Es sind nicht die Blutzellen, es müssen lösliche Stoffe im Blutplasma sein. «Vermutlich ist es ein ganzer Cocktail verschiedener Wirkstoffe», sagt Wyss-Coray.
Ob das Blutplasma junger Spender womöglich Alzheimer-Patienten helfen kann, kognitiv wieder fit zu werden oder zumindest nicht ganz so schnell abzubauen, diese Frage will der Forscher durch klinische Studien nun klären. Erste Ergebnisse erwartet er für 2019. Bis die Idee – falls sich zeigt, dass sie wirklich etwas taugt – praxisreif ist, wird es aber noch einiges länger dauern.
Verjüngungskur durch Nahrungsrestriktion?
Es ist gerade einmal 30 Jahre her, dass die Altersforschung ein reges und ernstzunehmendes Forschungsgebiet zu werden begann. Bei aller molekularen Präzision spricht einiges dafür, dass etwas die ersten Erfolge bringen könnte, von dem Mediziner schon gut 100 Jahre lang wissen: Nahrungsrestriktion – und zwar drastische – verlängert das Leben von Mäusen.
40 Prozent weniger Nahrung schlägt sich in 30 bis 50 Prozent mehr Lebensmonaten wieder. Das zeigen Versuche von deutschen Forschern am Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns in Köln. Auch hierzu gibt es schon klinische Versuche mit Menschen.
«Das Alter ist veränderbar»
Aber auch hier gilt: Bis es verlässliche Daten gibt und ob und wie viel Nahrungsrestriktion einem Menschen in Lebenszeit bringen könnte, wird es noch einige Zeit brauchen.
Das Alter ist kein Fait accompli. Es ist veränderbar.
Biologisch gesehen ist aber inzwischen klar: Das Alter ist kein gesetzmässiger, unumkehrbarer Prozess. Tony Wyss-Coray: «Wir können die Hautzelle eines 100-Jährigen nehmen und sie im Labor reprogrammieren. Wir können aus ihr eine Stammzelle machen, die quasi das Alter Null hat. Das Alter ist kein Fait accompli. Es ist veränderbar.»