Als die Weltgesundheitsorganisation WHO den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat im Frühjahr als «wahrscheinlich krebserregend» einstufte, sahen sich die Kritiker in ihrer Einschätzung bestätigt, das Mittel müsse vom Markt. Nun widerspricht die European Food Safety Authority EFSA dieser Einschätzung und empfiehlt lediglich, die tägliche Aufnahme beim Menschen auf 0,5 mg pro Kilo Körpergewicht zu begrenzen.
Die WHO warnt, die EFSA widerspricht: Wie können sich zwei derart gewichtige Akteure im Interesse der öffentlichen Gesundheit derart uneins sein? SRF-Wissenschaftsredaktorin Odette Frey hat den «Kontext» auf Radio SRF 2 zu Pestiziden und ihren Einfluss auf Mensch und Umwelt konzipiert und sich eingehend mit dem Thema befasst.
SRF: Inwiefern ist der Fall Glyphosat für Sie exemplarisch für die Debatte um Pestizide?
Odette Frey: Was sehr typisch ist: Ein Pestizid wird jahre- oder gar jahrzehntelang benutzt und plötzlich werden Zweifel laut, ob es wirklich harmlos für Mensch und Umwelt ist. In der Vergangenheit wurden immer wieder Produkte vom Markt genommen, weil man nach einer gewissen Zeit erkannt hat, dass das Risiko zu gross ist.
Pestizide sind Gifte, die natürlich in erster Linie Schädlinge wie Insekten oder Unkräuter treffen sollen. Aber Nebenwirkungen können vorkommen, sei es beim Anwender oder in der Umwelt. Sie können aber auch bei Konsumenten auftreten – und genau das befürchten einige Experten beim Glyphosat.
Sie sagen «befürchten». Die Krebsagentur der WHO stuft Glyphosat als «wahrscheinlich krebserregend» ein. Wie ist sie zu diesem Urteil gekommen?
Die WHO-Forscher haben Studien gefunden, die zeigen, dass der Wirkstoff Glyphosat direkt die Erbsubstanz schädigt. Wenn das stimmt, müssten alle Glyphosat-haltigen Mittel vom Markt genommen werden, denn für genotoxische Stoffe gibt es keinen sicheren Schwellenwert.
Nun sagt die EU-Behörde EFSA aber, dass Glyphosat für den Menschen «vermutlich keine krebserregende Bedrohung» darstellt.
Die EFSA stützt sich dabei schwergewichtig auf die Stellungnahme einer deutschen Behörde, des Bundesinstitutes für Risikobewertung. Dieses hat innerhalb der EU die Aufgabe übernommen, die Neu-Zulassung von Glyphosat zu prüfen und sagt: Glyphosat ist nicht krebserregend.
Eine Ausnahme macht man nur bei gewissen Beistoffen, die den fertigen glyphosat-haltigen Pestiziden beigemischt werden. Bei diesen sieht man auch eine Gefahr für den Konsumenten und hat die Hersteller daher aufgefordert, diese sogenannten Tallowamine aus den Glyphosat-Pestiziden zu entfernen. Aber dem Wirkstoff Glyphosat selbst, dem stellen die deutschen Behörden und die EFSA nach wie vor ein Unbedenklichkeits-Zeugnis aus.
Wie kann es sein, dass verschiedene Experten zu so unterschiedlichen Schlüssen kommen?
Die Toxikologie ist eben recht komplex. Da werden sehr viele unterschiedliche Studien gemacht – mit Zellkulturen, mit Bakterien, mit Tieren. Dann kommen noch die Bevölkerungsstudien hinzu. Zum Beispiel gibt es Studien, in denen Blutzellen von Menschen untersucht wurden, die über die Umwelt grosse Mengen an Glyphosat aufgenommen haben.
All diese Studien werden interpretiert und gewichtet, und bei diesem letzten Schritt gehen die Experten-Ansichten dann auseinander. Da heisst es dann: Diese Studie ist nicht relevant für den Menschen oder jenes Resultat kann nicht in anderen Studien reproduziert werden, ist also ein Ausreisser, vielleicht falsch, beruht auf Zufall etc. Die Wissenschaft spricht selten mit einer Stimme.
Die Interpretation der Studien ist also keine eindeutige Angelegenheit. Inwiefern können auch unterschiedliche Interessen die Interpretation beeinflussen?
Wo die Wissenschaft nicht klipp und klar ist, können Interessen natürlich reinspielen. Die Laborstudien werden von der Industrie durchgeführt – nach den Vorgaben der Behörden zwar, aber die Industrie macht die Studien und wertet die Labordaten auch selber aus. Diese Auswertungen werden dann von den Behörden lediglich noch am Schreibtisch überprüft.
In der Glyphosat-Debatte werfen die Kritiker nun vor allem den deutschen Behörden vor, sie würden sich zu sehr auf die Seite der Pestzid-Hersteller schlagen und zu sehr deren – durch kommerzielle Interessen getrübte – Sicht übernehmen. Aber diese Vorwürfe lassen sich im Detail von aussen kaum nachvollziehen. Klar ist nur: die WHO-Forscher schätzen die Datenlage ganz anders ein als die deutschen Behörden und die EFSA.