Es ist kein Zufall, dass sich die Menschen ständig unbewusst ins Gesicht fassen. Forscher des Haptik-Forschungslabors am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung der Universität Leipzig sagen: Es geschieht vor allem in Momenten der persönlichen Anspannung, bei Unwohlsein, Angst, Stress oder Panik.
Wie die Forscher um Martin Grunwald im Fachjournal «Brain Research» schreiben, konnten sie nachweisen, dass sich durch Selbstberührungen im Gesicht die elektrischen Ströme in Bereichen des Gehirns verändern, die die Arbeitsgedächtnisinhalte und den emotionalen Status steuern.
Untersuchungen an Testpersonen zeigten: Kurz vor der spontanen Selbstberührung sanken die Hirnströme in den entsprechenden Bereichen – ein Hinweis darauf, dass der «Arbeitsspeicher» ausgelastet und die emotionale Belastung hoch ist. Kurz nach der Selbstberührung stiegen die Werte wieder signifikant an.
Griff ans Kinn fürs seelische Gleichgewicht
Menschen bringen sich mit Gesichtsberührungen offenbar wieder ins Hier und Jetzt. Martin Grundwald veranschaulicht das an einem einfachen Beispiel: Zwei Personen sind ins Gespräch vertieft, als ein attraktiver Mensch vorbeigeht. Das bringt den emotionalen Haushalt des Gesprächspartners kurz aus dem Gleichgewicht, das Gespräch kommt ins Stocken. Durch eine unbewusste Selbstberührung im Gesicht gelingt es ihm aber wieder, ins innere Gleichgewicht zu kommen und sich erneut auf das Gespräch zu fokussiert.
Bewusste Gesichtsberührungen zum Stressabbau oder für die Konzentration funktionieren aber leider nicht: Wurden die Probanden aufgefordert, sich auf eine für sie typische Weise im Gesicht zu berühren, traten keine entsprechenden Änderungen der Hirnaktivität auf.
Die Erkenntnisse dürften deswegen vor allem für die Einschätzung des Gegenübers von Bedeutung sein, weniger gegenüber sich selbst. Psychologen können aus den unbewussten Berührungen beispielsweise Rückschlüsse auf den Therapieerfolg ziehen – oder Kriminalbeamte bei einer Befragung eines Verdächtigen auf seinen Stresspegel.