Der Mensch ist von Natur aus darauf eingerichtet, für eine gewisse Zeit ohne Nahrung auskommen zu können. Aus unseren Breitengraden sind Hungersnöte heute verbannt, bei unseren Urahnen aber gab es immer mal wieder Zeiten ohne Essen. Der Körper ist darauf eingerichtet: Ein gesunder Mensch kann gut 60 Tage ohne feste Nahrung auskommen, solange er genügend Wasser, Vitamine und Mineralien hat. Es gibt sogar Berichte von stark übergewichtigen Menschen, die mehr als 200 Tage Hunger überlebt haben.
Energiesparprogramm
Erst protestiert der Körper mit verstärkten Magenbewegungen und Unwohlsein, wenn keine Nahrung mehr in den Magen kommt. Schon nach ein bis zwei Tagen aber stellt er sich darauf ein, dass nichts mehr kommt. Er beginnt, sich von seinen Reserven zu ernähren. Er stellt um auf den Hunger-Stoffwechsel: Alarm-Hormone lösen ein Energiesparprogramm im Körper aus. Magen und Darm werden still gelegt und das Hungergefühl verschwindet weitgehend. Herz und Kreislauf pulsieren ruhiger.
Um die nötige Menge an Glukose im Blut aufrecht zu erhalten und damit das Gehirn zu versorgen, werden in den ersten Stunden des Hungers die Glukosespeicher aufgebraucht, hauptsächlich jene in der Leber. In den ersten Tagen danach baut der Körper zudem Proteine aus Muskel, Leber und Verdauungstrakt ab, um diese in Glukose umzuwandeln.
Das Gehirn braucht einige Tage, bis es umgestellt hat und mit dem Brennstoff Fett arbeiten kann – respektive mit Ketonen, einem alternativen Brennstoff, welcher der Körper mit dem Abbau von Fett erzeugt.
Erst die Umstellung, dann der Rausch
Die Umstellung auf den Hunger-Stoffwechsel wird oftmals begleitet von Unwohlsein, Schwindel, Bauchkrämpfen oder Kopfweh. Danach aber fühlt sich der freiwillig Fastende – im Gegensatz zum Hungernden – oft gar nicht unwohl. Der Serotoninspiegel steigt beim Fasten, die Glückshormone lindern das Hungergefühl. Manche Menschen erleben deshalb während der ersten Fastenwoche wahre Rauschzustände.
In verschiedenen Religionen machen Menschen sich diese ekstatischen Gefühle zunutze, um mit dem Göttlichen in Kontakt zu treten. Alle grossen Weltreligionen kennen das Fasten als Mittel, um Willenskräfte zu sammeln, Busse zu tun oder zu innerer Einkehr zu gelangen. Bei Christen, Juden, Moslems und Hindus ist das Fasten an bestimmte Feste gebunden.
Ungeeignet zum Abnehmen, aber gut für den Geist
Fasten ist heute gross in Mode. Jeden Frühling fasten in der Schweiz Zehntausende, allerdings nicht nur wegen der christlichen Fastenzeit. Die Bikini-Figur für den Frühling ist heute wohl die häufigste Motivation für eine Fastenkur, die schnell einen grossen Verlust von Pfunden verspricht.
Verschiedenste Kuren versprechen den raschen Erfolg: Teefasten, Holundersaft-Fasten, Zitronensaft-Fasten, Molken-Fasten, Saftfasten, Heilfasten, Meditationsfasten, Fastenwandern, Fasten nach Mayr oder eiweissergänztes Fasten. Allerdings, so raten Ernährungsberater und Fastenkurs-Anbieter, ist eine Fastenkur überhaupt nicht dazu geeignet, um langfristig Gewicht zu verlieren. Im Gegenteil: In einer Hungerperiode zehrt der Körper zwar von den Reserven. Kommt dann aber wieder Nahrung, legt sich der Körper so schnell wie möglich zusätzliche Depots an, oft noch grösser als diese zuvor. Schliesslich könnte bald die nächste Hungerperiode anstehen – und darauf will der Körper gut vorbereitet sein. Deshalb ist der Yoyo-Effekt im Fasten fest mit eingebaut.
Fasten als Chance
Bei vielen Fastenden hat die Kur jedoch durchaus positive Effekte auf den Geist. In der Fastenzeit werden Hunger und Sättigung wieder besser wahrgenommen. Manche sehen dies als Chance, kritisch über ihre Gewohnheiten und jene unserer Wohlstandsgesellschaft nachzudenken. Dies kann ein Impuls sein, um seine Lebens- und Essgewohnheiten zu überdenken und seine Ernährung langfristig umzustellen.
Fastende berichten, dass die Ruhe und Gelassenheit, in der sich der Darm befindet, auch auf die Psyche übergehen. Indem das Essen wegfällt, bleibt Fastenden plötzlich viel mehr Zeit für sich selber – und diese wird oft genutzt, um die spirituelle Dimension wiederzuentdecken.
Streit um gesund oder ungesund
Ob Fasten allerdings gesund für den Körper ist, darüber streiten sich Schulmediziner und Naturheilkundler. Eine kurze Fastenzeit sei zwar für den Körper nicht schädlich, so die Schulmedizin, allerdings sei sie eher ein Stressfaktor als eine Therapie.
Die Naturheilkunde wiederum argumentiert, dass der Körper sich in dieser Zeit regenerieren könne und mit dem Abbau von Reserven sich selber entgifte: Schadstoffe, alte Zellen, krankhaftes Gewebe und Fett würden abgebaut und ausgeschieden. Umweltgifte, Säuren, Krankheitsherde und Fett würden reduziert, die Immunabwehr gestärkt und der Alterungsprozess auf natürliche Art verzögert.
Fastenärzte propagieren Heilfasten unter medizinischer Kontrolle zur Vorsorge und zur Linderung verschiedener chronischer Krankheiten. Darunter Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Herzkrankheiten, Rheuma, Arthrose, Magen-Darm-Erkrankungen, Hautkrankheiten, Migräne oder Kopfschmerzen. Allerdings können die meisten dieser Erfolge nicht mit wissenschaftlichen Studien belegt werden – für diese Forschung fehle das Interesse und Geld der Industrie. Die Fastenmediziner stützen sich zumeist auf reine Erfahrungswerte.