In 15 Kantonen beginnt heute die Einschulung offiziell schon mit dem obligatorischen Kindergarten. Zwischen viereinhalb und fünf sind die meisten Kinder beim Eintritt in den Kindergarten. Normalerweise bleiben sie zwei Jahre lang dort, bevor sie in die Schule wechseln. Wollen Eltern bereits nach einem Jahr ihr Kind in die Schule schicken, ist dafür heute vielerorts keine schulpsychologische Untersuchung mehr notwendig. Oftmals genügt die Einschätzung der Kindergärtnerin.
Einschulung immer früher
Offizielle Zahlen gibt es keine, doch die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm beobachtet einen klaren Trend hin zu frühzeitigen Einschulungen. Und das nicht immer zum Wohle der Kinder. Denn sechs von zehn früh eingeschulten Kindern müssen nach der Probezeit zurückgewiesen werden. Viele hängen auch ein drittes Kindergartenjahr an oder wiederholen später die erste Klasse. Studien berichten von Spätfolgen für zu früh eingeschulte Kinder bis in die Pubertät.
Ein kanadische Studie mit Daten von fast einer Million Kindern zeigt, dass bei früh eingeschulten Kindern besonders häufig die Aufmerksamkeitsstörung ADHS diagnostiziert wird – obwohl die Klassenjüngsten einfach weniger reif sind als ihre älteren Klassenkameraden. Gemäss der Studie fällt die ADHS-Diagnose bei früh eingeschulten Kindern um 39 Prozent häufiger – und sie nehmen 48 Prozent häufiger Medikamente dagegen ein.
Auf Signale der Kinder achten
Dieser Trend ist umkehrbar, denn die ersten wichtigen Hinweise darauf, ob eine Einschulung Sinn macht, liefert das Kind selbst. Denn alle Kinder, die reif für die Schule sind, freuen sich auch auf sie, sind wissbegierig und selbstbewusst. Wichtig ist auch, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen stimmen: Kinder, die nicht gut sehen oder hören, werden in der Schule Schwierigkeiten haben, dem Unterricht zu folgen. Sind diese Grundbedingungen gegeben, können folgende Punkte Anhaltspunkte dafür sein, ob ein Kind bereit für den ersten Schultag ist:
Soziale Eigenschaften
- Selbständigkeit: beim kompletten An- und Ausziehen und Essen, beim Aufräumen und Erledigen kleinerer Aufgaben. Kind geht selbständig aufs WC und kann sich den eigenen vollen Namen und seine Adresse merken
- Hat keine Trennungsängste, kann gut mehrere Stunden ohne seine Eltern sein
- Verhalten in der Gruppe: Freunde suchen und finden, eigene Meinung aussprechen, aber auch andere Meinungen anhören, im Zweifel eigene Erwartungen zumindest über eine Zeit zurückstecken können – auch Bedürfnisse wie Hunger; Konflikte verbal lösen und andere verstehen
- Emotional so stabil sein, dass Konzentration trotz Wut und Ärger möglich ist, selbstbewusst sein und die eigenen Gefühle beschreiben können
- Eigene Enttäuschungen ertragen können
- Zeitgefühl auch für das eigene Handeln haben und bei der Sache bleiben können
Intellektuelle Fähigkeiten
- Formen und Farben erkennen können, einfachere Puzzles zusammensetzen können, Dinge nach Grösse, Menge o.ä. ordnen können
- Neue Wörter schnell aussprechen können, Gedanken in Worte fassen können, Lied- oder Gedichttexte merken können
- Rechts und links, oben und unten unterscheiden können, Körperteile benennen können, sich an Handlungsabläufe erinnern und strukturieren können, kurze Geschichten nacherzählen können und Fantasie zu haben, bis zwölf zählen können
- Gut zu artikulieren, in ganzen Sätzen zu sprechen und zuhören können
- Lust haben, Leistung zu zeigen und Aufgaben fertigzustellen (bspw. beim Basteln oder Spielen), auch verlieren können
- Mindestens 20 Minuten am Stück konzentrieren können, eine Stunde lang sitzen bleiben können
Physische Grundlagen
- Im Raum orientieren können, Gleichgewicht halten können, einen Ball werfen und fangen können, Figuren ausmalen können, ohne über den Rand zu malen
- Knoten und Schleife beherrschen, Stifte richtig halten können, entlang einer Linie ausschneiden können, malen und kleben können