Kurz vor Weihnachten im Kinderspital Zürich: Für Liam und seine Eltern heisst es, Abschied nehmen.
In der Klinik waren sie Stammgäste, denn Liam hat seit seinem 18. Lebensmonat Leukämie. Vater Thomas erinnert sich: «Er hat aufgehört zu laufen, ist nur noch dagesessen und hat geweint. Die Lippen waren weiss, er war gar nicht sich selbst und hat auch nichts mehr gegessen.»
Im Notfall des Kinderspitals dann die Schockdiagnose: Leukämie. Seither hat Liam mehr als sein halbes Leben in Spitalzimmern verbracht.
Letzte Chance in den USA
Kinder-Leukämie lässt sich in vielen Fällen heilen, aber bei ihm brachte keine Behandlung den erhofften Erfolg.
Die letzte Hoffnung heisst «Car-T-Therapie». Die neue Immuntherapie gilt als das grosse Versprechen der Krebsbekämpfung. In der Schweiz ist das Gentech-Verfahren noch nicht zugelassen, in den USA wird es im Rahmen von Studien eingesetzt. An einer solchen kann Liam nun teilnehmen.
Die Eltern freuen sich über die Chance, denn die Erfolgsquote der neuen Therapie lässt aufhorchen: Bei 93 Prozent der Patienten bildet sich die Leukämie zurück. Wie die Erfolgsaussichten von Liam sind, lässt sich nicht genau sagen. Sie liegen wohl bei etwa 50 Prozent.
Wirksam, aber teuer
Das Children’s Hospital in Seattle ist eines der grössten Kinderspitäler der Vereinigten Staaten. Kinder-Onkologin Rebecca Gardner betreut die Car-T-Studie, an der Liam teilnehmen wird.
«Für die Studie werden Immunzellen des Patienten im Labor gentechnisch verändert, damit sie ein CD19-Protein erkennen, das an Leukämie-Zellen dran ist. Die neu programmierten Zellen können dann den Krebs angreifen und hoffentlich beseitigen, ähnlich wie einen Virus im Körper», erklärt die Forscherin das Prinzip der Therapie.
Das Verfahren wird als grösster Fortschritt auf dem Gebiet der Leukämie in den letzten 20 Jahren gehandelt. Selbst Kinder, die bereits drei, vier Knochentransplantationen hatten und nur noch palliativ gepflegt wurden, konnten so geheilt werden.
Der Fortschritt hat aber seinen Preis: Die Therapie ist teuer. So teuer, dass sich die Herstellerfirma Novartis überlegt, es nur im Erfolgsfall in Rechnung zu stellen.
Im Rahmen der Studie übernimmt das Children’s Hospital die Kosten für die Herstellung der Immunzellen. Der Spitalaufenthalt wird hingegen in Rechnung gestellt. Da sich die Krankenkasse weigert, die Kosten zu übernehmen, mussten die Eltern vor der Abreise ein hohes Depot hinterlegen: 455'000 Dollar – ein Bankkredit und die Hilfe der Eltern machten es möglich.
Mittlerweile ist die Schweizer Familie in Seattle eingetroffen. Die Zellproduktion für Liam ist bereits im Gang. Bevor die aufgerüsteten Immunzellen ihr Werk tun können, steht für Liam aber eine Chemotherapie an, um seinen Krebs möglichst zurückzudrängen.
Auch wenn er diesmal Fludarabin statt Cytarabin erhält: keine neue Erfahrung für den Jungen. Doch diesmal bringt die Chemo nicht den gewünschten Effekt. Liams Körper reagiert heftig, eine Blutvergiftung bringt seine Nierenfunktionen zum Erliegen. Und trotz Dialyse verschlechtert sich sein Zustand weiter.
Keine guten Voraussetzungen für die Zelltherapie.
Liam kämpft, wie schon sein ganzes Leben – und kriegt die ersehnte Therapie, obwohl er eigentlich zu krank für sie ist. Denn die Nebenwirkungen sind erheblich: Der Sturm der Immunzellen greift nicht nur den Krebs an, sondern führt auch zu Entzündungen im ganzen Körper. Aber eine weitere Chance wird es nicht geben.
Liam kämpft. Der Krebs verschwindet. Doch auch Liam wird immer schwächer. Auf den Tag eineinhalb Jahre nach der Diagnose gewinnt er zwar den Kampf gegen die Krebszellen, bezahlt den Sieg aber mit seinem Leben.
Liams Eltern konnten ihm nicht helfen. Vom Nutzen der T-Car-Therapie sind aber dennoch überzeugt: «Wenn die Therapie früher erfolgt, solange der Körper stärker ist, könnte vielen Kindern geholfen werden.» Und um anderen Kindern in derselben Situation zu unterstützen, haben sie in Liams Namen eine Stiftung gegründet: Little Big Hero.