Mandarinen, verpackter Aufschnitt, Brote: Eine riesige Ladung mehr oder weniger frischer Lebensmittel purzelt vom Lastwagen in eine grosse Mulde. Es sind Abfälle aus dem Detailhandel. Nicht verkaufte Lebensmittel, die am Ende überzählig waren. In der grössten Biogas-Anlage in der Schweiz, in Nesselnbach, werden sie – immerhin – noch zu Biogas und Strom verarbeitet.
Kein freudiger Anblick für den Umweltwissenschaftler und Foodwaste-Experten Claudio Beretta: «Es macht mich traurig, dass so viele gute Lebensmittel einfach weggeschmissen werden», sagt Beretta. «Die meisten dieser Nahrungsmittel wären noch geniessbar gewesen!»
Der Wissenschaftler hat es untersucht: Vermeidbare Lebensmittelabfälle fallen in der ganzen Lebensmittelkette an: Landwirtschaft, Industrie, Detailhandel, Gastronomie – bis hin zum Privathaushalt, und dort besonders. Pro Kopf und Haushalt werden jährlich bis zu 90 Kilogramm Lebensmittel entsorgt. Die meisten Esswaren landen im Müll, aber auch im Abwasser oder im Heimkompost.
Mit Bedacht zugreifen
Claudio Beretta erklärt: «Es beginnt schon beim Einkaufen.» Wer unvorbereitet in den Supermarkt geht, kauft wahllos und oft zu viel ein, greift bei Aktionen übertrieben zu und kocht zuhause dann gleich das eben Eingekaufte. Mit Hunger kocht man zu viel oder man konsumiert etwa nur das frische Brot. Das alte bleibt liegen. Das Resultat: Ware vergammelt und wird am Ende entsorgt.
Aber auch übertriebenes Rüsten, ein unübersichtlich eingeräumter Kühlschrank oder übertrieben volle Kochtöpfe fördern die Verschwendung im Privathaushalt.
Die Krux mit dem Datum
Auch Unwissenheit rund um die Datierung der Produkte trägt dazu bei, unnötig Lebensmittel wegzuschmeissen. Was abgelaufen ist, gehört in den Müll – dieser Irrtum führt zusätzlich zu Nahrungsmittelverlusten.
Mit gewissen Ausnahmen, wie etwa für Essig, Salz, oder festen Zucker, müssen verpackte Nahrungsmittel datiert sein. Dazu sind die Hersteller verpflichtet. Das Knifflige dabei: Es gibt zwei Datierungsarten. Je nachdem, wie heikel ein Produkt ist, bekommt es ein Verbrauchs- oder ein Mindesthaltbarkeitsdatum.
Für leicht verderbliche Produkte gilt ein striktes «Verbrauchsdatum». Nur bis zu diesem Tag garantiert der Hersteller einen sicheren Verzehr.
Ganz anders Produkte der Kategorie «Mindesthaltbarkeit». Hier gilt: Sie haben bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum ihre beste Qualität, doch: Geniessbar sind sie nachher immer noch.
«Leider kennen viele Konsumentinnen und Konsumenten den Unterschied zwischen den beiden Datierungsarten nicht», sagt Corinne Gantenbein-Demarchi. So landen viele Lebensmittel über dem Datum unnötig im Müll.
Kritik an den Hersteller
Im Auftrag des Bundes nahm eine Fachgruppe der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften die Datierungspraxis der Hersteller unter die Lupe. Die Schlussberichte mit Handlungsempfehlungen von 2021 merken in Richtung der Produzenten kritisch an: «Die Datierung von Lebensmitteln ist ein relevanter Faktor in der Ursachenkette von Lebensmittelverlusten.» Der konkrete Vorwurf: Hersteller würden dazu neigen, Haltbarkeitsdaten früher als nötig anzugeben, um finanzielle Einbussen und Imageverluste zu minimieren.
Andreas Kuster, Inhaber einer kleinen Basler Leckerly-Manufaktur, bestätigt zwar die Problematik. Klar wäre sein Trockengebäck jahrelang geniessbar, doch: «Es gibt Kunden, die uns Produkte zurückschicken, weil sie eben nicht genau die Konsistenz haben wie vielleicht nach 30 Tagen.» Der Produzent gibt den Ball also an die Kundschaft mit ihren Ansprüchen zurück.
Empfehlungen der Wissenschaftler
Nicht nur der Kunde, alle Akteure in der Lebensmittelkette könnten dazu beitragen, Lebensmittelverluste zu verringern durch einen anderen Umgang mit der Datierung. Die Fachgruppe der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften hat neue Leitfäden mit Empfehlungen erarbeitet.
Mindesthaltbarkeit: Maximal ausschöpfen
Die wichtigste Erkenntnis: Das grösste Potenzial zur Verringerung von Lebensmittelverschwendung liegt darin, die Mindesthaltbarkeit maximal auszuschöpfen. Produkte mit Mindesthaltbarkeit verderben ja nicht am Tag X; im Gegenteil. Viele dieser Produkte halten weit übers Datum hinaus, wie die ZHAW-Untersuchung zeigt.
Rohe Eier sind demnach noch sechs Tage über ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum geniessbar, Käse noch 30 Tage, Konserven-Gemüse noch vier Monate und Teigwaren oder Schokolade sind gar ein Jahr über ihr Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus noch geniessbar. Die maximale Haltbarkeit für verschiedene Produkte ist in einem Flyer übersichtlich dargestellt.
Mindesthaltbarkeit versus Verbrauchsdatum
Schauen, riechen, schmecken: Bei Produkten mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum kann man auch auf die Sinne vertrauen.
Nur bei Produkten mit Verbrauchsdatum ist Vorsicht angebracht. Vor allem Fleisch, Fisch, Geflügel, oder Produkte, die rohe Eier enthalten, sind Nährböden für Mikroorganismen, die mit ihren Giften ungesund werden können. Hat ein Produkt das Verbrauchsdatum erreicht, sollte man es verzehren oder tiefkühlen, falls das möglich ist.
Diese Lebensmittel sollten nach Überschreiten des Verbrauchsdatums wohl oder übel entsorgt werden. Das sei bedauerlich, meint Lebensmittel-Mikrobiologin Corinne Gantenbein, aber: «Die Gesundheit geht immer vor.»