Ich sag’s, wie es ist: Ich liebe Tomaten auch im Winter. Ohne Parmesan, keine Pasta. Ich koche am liebsten spontan, worauf ich gerade Lust habe.
Doch was ich lese, als ich zum Einfluss von Essen aufs Klima recherchiere, erschreckt mich: Ein Drittel der weltweiten Treibhausgase verursachen unsere Lebensmittel. Ein gewaltiger CO₂-Fussabdruck also – kurzum ein «Foodprint».
Die gute Nachricht: Wenn wir die Ernährung anpassen, könnte das die Umweltbelastung in der Schweiz um 45 Prozent reduzieren, das zeigen Daten von Agroscope. Also wage ich den Versuch. Eine Woche lang klimaschonend essen, begleitet von Expertinnen und Experten.
Tag 1: Die Angst vor dem Scheitern
Das Frühstück lasse ich ausfallen, die Challenge liegt mir schon schwer im Magen. Am Mittag gibt es Müsli, laut Packungsangabe produziert in der Schweiz. Zum Abendessen Eintopf aus Schweizer Kartoffeln und Rüebli.
Ein Gericht aus der Kindheit, beide Zutaten stehen auf meiner klimafreundlichen Liste. Unbekanntes wie Sojabohnen verschiebe ich auf später. Für eine Woche heisst es jetzt: Essen nach Masterplan.
Ein Algorithmus für einfache Antworten
Damit ich weiss, was ich essen kann mit geringem CO₂-Ausstoss und trotzdem gesundem Nährwert, hilft mir Christie Walker. Sie hat für ihre Promotion in Umweltwissenschaften an der ETH Zürich ein Tool entwickelt.
«Ich hatte so viele Fragen», sagt Walker. «Sind Bohnen aus der Dose besser oder die getrockneten? Mandel- oder eine andere Milch?» Also hat sie Daten gewälzt und ein Programm gegen die Informationsflut gebaut: Darin kombiniert ein Algorithmus die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation für eine nährstoffreiche Ernährung mit Transportdaten und Saisonalität von Lebensmitteln in der Schweiz.
Ich tippe Grösse und Gewicht ein, wähle ein paar Dinge, auf die ich nicht verzichten will (Käse, Avocado, Grapefruit) und lerne: Ich kann einen Foodprint von 11.5 Kilogramm CO₂e (CO₂-Äquivalente) pro Woche erreichen – der Durchschnitt liegt fast viermal höher.
Ich zweifle an meinem Erfolg bei dieser Challenge. Weil unsere Welt so globalisiert ist, scheint es mir unmöglich, mit Essen CO₂ einzusparen. Auch für die Schoggi aus der Schweiz muss der Kakao übers Meer.
Drei Kilogramm für die Klimaziele
Auf meinem Wochenplan stehen neben Rüebli, Kartoffeln und einem knappen Pfund Sojabohnen unter anderem drei Liter Milch, ein Kilogramm Rhabarber und 700 Gramm Makrele.
Sollte ich mich an Walkers Tabelle halten, käme ich auf 1.6 Kilogramm Treibhausgase am Tag. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müsste jede und jeder den Foodprint auf täglich drei Kilogramm Treibhausgase reduzieren. Aktuell liegt der Durchschnitt in der Schweiz doppelt so hoch.
Heimlich rechne ich aus, wie viel Raum mir für Süssigkeiten bleibt. Zucker empfiehlt die WHO nicht – also kommen auch in Walkers Tabelle keine Snacks vor. Nicht nur klimafreundlicher, auch gesünder wird meine Ernährung diese Woche sein.
Tag 2: Die besten Zutaten sind verbraucht
Schon am zweiten Tag nagt der Verzicht an mir. Aus dem Nachmittagstief holt mich mein Glas Leitungswasser nicht. Mir fehlen Cappuccino und Schokolade. Beides nicht auf der Liste.
Weil gemeinsam essen schöner ist, als allein in der Küche Zutaten abzuwiegen und den Klimaimpact auszurechnen, lade ich mir zum Znacht Besuch ein. Es gibt Tortilla-Wraps, gefüllt mit schwarzen und weissen Bohnen, Süsskartoffeln, Rüebli, Guacamole, Crème fraîche, Tofu und Salat. Die Bilanz: 1.8 Kilogramm für den ganzen Tag. Sogar ein Bier (143g CO₂e) liegt drin.
Die Gäste loben die klimagerechte Küche, ich denke an meine Tabelle: Mit nur einem Znacht habe ich alle feinen Zutaten verbraucht. Mit Blick auf die verbleibenden fünf Tage ahne ich Böses.
Tag 3: Sardinen bringen mich an die Grenze
Das Frühstück läuft mittlerweile routiniert (Grüntee, Müsli und Rhabarberkompott). Aber beim Mittagessen merke ich, wie viel Planung die Challenge bedeutet. Spontan geht nichts.
Ich improvisiere: Vollkornbrot, Rüebli und Sardinen. Allein der Geruch der eingelegten Fische dreht mir fast den Magen um. Nach einem Drittel Dose gebe ich auf. Christie Walkers Computerprogramm hat keine Ahnung von Cuisine.
Dazu kommt, dass ich die Zutaten auf meiner Liste oft nicht im Laden finde. Mein Rhabarber kommt nicht frisch aus Italien, sondern aus dem Gefrierfach. Dafür aber aus der Schweiz. Ist das nun besser oder schlechter fürs Klima?
Der Transport wird überschätzt
Antworten darauf hat Manuel Klarmann. Der Geschäftsführer von «Eaternity» beschäftigt sich seit zehn Jahren mit den Klimafolgen von Lebensmitteln und berät Restaurants zu ihrer Umweltbilanz.
«Der Transport wird häufig überschätzt», sagt Klarmann. Nur etwa fünf Prozent der CO₂-Bilanz mache es aus, «was an Lebensmitteln über den Globus schippert.» Und der CO₂-Ausstoss beim Kühlen? Tiefkühlprodukte werden reif geerntet und gefrostet. Klarmann rechnet und sagt: «Macht wenig aus. Mit dem Schweizer Tiefkühl-Rhabarber bist du minimal schlechter dran als mit dem, der per LKW aus Italien kommt.»
Was mich überrascht, ist die gute Klimabilanz von Schiffen trotz des Ölverbrauchs. «Containerschiffe sind das klimafreundlichste, das wir haben», sagt Klarmann. 134’500 Tonnen haben Platz auf einem kleineren Containerschiff – der Laderaum eines Flugzeugs ist viel begrenzter.
Tag 4: Die Suche nach Soja
Die halbe Woche ist geschafft, doch nach dem Morgensport sind meine Energiereserven aufgebraucht. Ans Aufgeben denke ich trotzdem nicht.
Je tiefer ich ins Thema eintauche, desto mehr wird mir die Dringlichkeit bewusst: Ohne die Umstellung zu mehr Hülsenfrüchten, weniger Fleisch und Milch, schaffen wir die Klimaziele nicht. Da sind sich die Forschenden einig.
Also nehme ich mir die fremden Sojabohnen auf der Liste vor. Ich google und finde ein Rezept für Risotto aus Sojabohnen. Aber woher bekomme ich die Bohnen? Ich durchkämme vier Supermärkte ohne Erfolg, auch der Bioladen hat keine.
Saurer Snack statt Süssigkeiten
Was ich stattdessen finde und von meiner Liste abhaken kann, sind Kumquats. Die gekauften Früchtchen kommen aus Spanien, 17.50 Franken pro Kilogramm. Auch mein Portemonnaie ist dem Programm von Walker egal.
Im Feinkostladen ergattere ich Augenbohnen, die weiche ich erst einmal ein. Zum Abendessen gibt es geräucherte Makrele mit Kartoffeln, Rüebli und Salat. Tagesbilanz: 1 Kilogramm CO₂e.
Einschränken heisst nicht unbedingt Verzicht
Die sehr sauren Kumquats mildern die Lust auf Süsses nicht. Weil mir kleine Belohnungen im Alltag fehlen, frage ich Manuel Klarmann, wie er mit dem Verzicht umgeht: «Mich macht das glücklich. Sich einschränken, macht das Leben einfacher», findet er. «Es ist ja eine sinnvolle Entscheidung.»
Was es in seiner WG aber oft gebe, seien getrocknete Mangos: «Wir sind nicht asketisch.» Weil Mangos dort getrocknet würden, wo sie geerntet wurden, liege das für ihn im Rahmen.
Tag 5: Die Challenge macht müde
Nicht nur mein Foodprint, auch meine Kraft hat sich gefühlt halbiert. Ich bin müde.
In meinen «Sojotto», als Konserve habe ich Sojabohnen schlussendlich doch noch gefunden, schummle ich Parmesan, obwohl ich weiss: Milchprodukte verbrauchen deutlich mehr Treibhausgase als pflanzliche Alternativen. Trotzdem machen die Sojabohnen aus der Dose meinen Risotto fünf Mal klimafreundlicher als das Original: 100 Gramm Risottoreis verbraucht 303 Gramm CO₂-Äquivalente. Mein «Sojotto» für die gleiche Menge nur 60 Gramm CO₂e.
Ich beende den Tag mit 2.3 Kilogramm CO₂e. Der höhere Wert liegt an zwei Longdrinks, der Abend endete mit meinen Gspänlis in einer Bar.
Eine kurze Genugtuung ist es, dass ich meinen Kolleginnen und Kollegen vorrechnen kann, wie viel mehr Treibhausgase ihr Kaffee verbraucht als mein Grüntee: Mit 175 Gramm CO₂e für einen Cappuccino ist es das Zehnfache.
Respekt vor der Natur
Kaffee gibt es auch im Restaurant von Rebecca Clopath nicht. Die Köchin aus dem Bündner Bergdorf Lohn ist dafür bekannt, allen Geschmack aus heimischen Lebensmitteln zu holen. Wer nach einer ihrer «Esswahrnehmungen» unbedingt den Espresso braucht, trinkt die Alternative aus Lupinen.
Umweltbewusstsein ist für Clopath eine Grundeinstellung. «Den Respekt vor der Natur haben wir verloren, weil wir nicht mehr müssen», sagt sie. «Wie viele Leute haben schon mal einer Kuh Milch aus der Zitze gedrückt? Wir sind so verwöhnt!»
Tag 6: Schlecht gelaunt ins Wochenende
Endspurt. Die Diät schlägt auf die Stimmung. Ich lasse mich überreden, meine Tabelle zu vergessen und starte mit einem grossen Frühstück in den Tag. Eine willkommene Abwechslung zu Rhabarberkompott.
Dann fallen mir die eingeweichten Bohnen wieder ein. Ich schicke Rebecca Clopath eine Sprachnachricht und frage nach einem Rezept, Hülsenfrüchte habe ich satt. «Böhnli, immer fein», widerspricht mir die Köchin glatt. Im Hintergrund klappert ihr Kochgeschirr. Sie sagt: 20 Minuten köcheln lassen, erst dann salzen, etwas Rahm dran: «Und was mega bombig ist, Kardamom fein mörsern und damit würzen.»
Gelingt und schmeckt. Tagesbilanz 2 Kilogramm CO₂e.
Die Challenge ist geschafft
Für den letzten Tag des Selbstversuchs bin ich zum Brunchen eingeladen. Ich bringe Rhabarber-Crumble (fein) und Brotaufstrich aus pürierten Rüebli mit (fad).
Entscheidungen am Buffet fallen mir nicht schwer: Ich weiss jetzt, was wie viel wiegt auf der CO₂-Waage. Weil ich seit einer Woche Lebensmittel auf die CO₂-Bilanz prüfe, rattert im Kopf permanent der Scanner.
Über die ganze Woche habe ich rund zehn Kilogramm CO₂-Äquivalent mit Essen und Trinken verbraucht. 11.5 CO₂e waren die Prognose. Ich habe Christie Walkers Tabelle geschlagen, auch ohne mich strikt daran zuhalten.
Hat es sich gelohnt?
Es ist möglich, seinen Foodprint zu reduzieren. Klar, eine Umstellung ist es, aber es tut auch gut, den eigenen Geschmack zu fordern.
Für die Zukunft nehme ich mir vor, beim Einkauf nicht mehr skeptisch am Konserven-Regal vorbeizulaufen, sondern mehr Hülsenfrüchte in meine Menüs zu integrieren. Und ich weiss: Das nächste Stück Schokolade werde ich besonders geniessen.