«So musste ich noch nie die Hosen für meine Sendung runterlassen», lacht Kathrin Hönegger. Doch sie scherzt nur halb. Schliesslich hat alles mit einer Stuhlprobe von ihr angefangen.
Diese Probe soll Aufschluss über die Zusammensetzung ihrer Darmbakterien geben. Die «Einstein»-Moderatorin will nämlich erfahren, wie gesund ihr Darm ist.
Zu Unrecht als Krankmacher abgestempelt
Der Kot jedes Menschen besteht etwa zur Hälfte aus Bakterien, die im Dickdarm angesiedelt sind.
Zwar haben krank machende Keime den Bakterien jahrzehntelang ein schlechtes Image verpasst, doch mittlerweile weiss man: Die Mikroben könnten uns gesund machen und einen positiven Einfluss auf Übergewicht, Diabetes, entzündliche Darmkrankheiten und die Psyche haben.
39 Billionen kleine Organismen
In der Fachwelt werden sie zusammen mit den sich dort tummelnden Viren, Pilzen und Einzellern als «Mikrobiom» bezeichnet. 39 Billionen Kleinstlebewesen aller Art – mehr als der Mensch Zellen besitzt.
Den Forschenden haben es insbesondere die verschiedenen Bakterien im Dickdarm angetan. Jeder einzelne Mensch hat hunderte verschiedener Arten davon im Bauch. Diesen Mikroben-Dschungel gilt es zu erkunden.
Wie sieht es aus mit Kathrin Höneggers Darm?
«Ich hatte etwas Angst vor der Analyse meiner Darmbakterien», gesteht Kathrin Hönegger. Sie leidet nämlich an Zöliakie, verträgt also kein Gluten und ernährt sich dementsprechend getreidelos.
Ob sich ihre spezielle Ernährung negativ auf ihr Mikrobiom auswirken würde? Die Antwort erhielt sie beim Besuch am Inselspital Bern, wo sie für «Einstein» ihr Mikrobiom auswerten liess.
Vitamine aus dem Darm
«Darmbakterien sind enorm wichtig für uns, denn sie helfen uns, Lebensmittel zu verdauen, die wir sonst nicht verdauen könnten», erklärt der Berner Mikrobiom-Forscher Andrew Macpherson.
Konkret spielt er auf Pflanzenfasern an. «Die Bakterien fressen diese Lebensmittel und produzieren Energie», so Macpherson. «Ausserdem produzieren sie Vitamine, die wir brauchen.»
Bakterien bringen Immunsystem auf Trab
Doch die fleissigen Helfer in unserem Darm können noch viel mehr. Es beginnt bereits bei der Geburt: Da besiedeln die Mikroben der Mutter das Baby und spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Immunsystems.
Bei Erwachsenen zeigt sich ausserdem: Stark Übergewichtige haben ein angeschlagenes Mikrobiom. Ebenso Diabetikerinnen und Menschen mit entzündlichen Darmkrankheiten. Auch bei psychisch Erkrankten, die etwa Depressionen haben, sieht das Mikrobiom angegriffen aus.
Jeder Mensch hat ein ganz individuelles Mikrobiom, beherbergt also eine eigene Mischung von Bakterien in seinem Darm. Dass Forschende unbedingt herausfinden wollen, wie genau diese Bakterien so viele Krankheiten beeinflussen, ist wenig verwunderlich. Doch bis jetzt wissen sie darüber noch zu wenig.
Bunt ist gesund
Die Basler Ernährungsforscherin Bettina Wölnerhanssen untersucht den Zusammenhang von Übergewicht und Mikrobiom: «Was auffällt ist, dass sowohl bei Übergewichtigen und auch bei Diabetes die Bakterienvielfalt im Darm verarmt ist.»
Auch bei anderen Krankheiten zeigt sich: Je bunter die Bakterien-Mischung, desto besser.
Ab zur Erbgut-Analyse
Zurück zu Kathrin Höneggers Darmbakterien: Diese sehen im Fluoreszenz-Mikroskop zwar hübsch aus, doch unterscheiden kann man die einzelnen Arten so nicht voneinander.
Dafür muss ihre Stuhlprobe in einen sogenannten Sequenzierer – zur Erbgut-Analyse. Denn erst damit können die Ernährungsforschenden die einzelnen Bakterienstämme voneinander unterscheiden.
Einseitige Ernährung, einseitiges Mikrobiom
Dem Forscher Macpherson reicht ein einziger Blick auf die Darmbakterien-Analyse der «Einstein»-Moderatorin: «Sie sind Vegetarierin, habe ich recht?» Er trifft den Nagel auf den Kopf.
«Ich habe Fleisch schon als Kind nie gemocht. Als mein Lieblingsschwein dann auch noch beim Nachbarn geschlachtet wurde, habe ich dem Fleisch endgültig abgeschworen», so Kathrin Hönegger.
Nur: Wer als Zöliakie-Patientin auch noch vegetarisch lebt, sollte sich nicht wundern, wenn das Mikrobiom etwas eintönig aussieht. Eine eingeschränkte Ernährung führt nämlich zu einem einseitigen Bakterien-Spektrum.
Kann’s die Ernährung richten?
Immerhin ist Experte Macpherson nicht beunruhigt über die Ergebnisse. Die gesunden Bakterienarten sind nämlich da – einfach in geringer Zahl.
Dem Hönegger'schen Mikrobiom empfiehlt er deshalb mehr Kalzium, also mehr Milchprodukte. Davon isst die «Einstein»-Moderatorin, die auch mit der veganen Ernährungsweise liebäugelt, nämlich wenig.
Übrigens sieht Kathrin Höneggers Mikrobiom immer noch besser aus als so manches in unserer westlichen Zivilisation. Denn viele, die in Städten leben, essen zu einseitig und nehmen kaum noch genügend Pflanzenfasern zu sich. Diese sind für die Bakterien im Darm allerdings überlebenswichtig. So können sogar einzelne Bakterienarten im Darm aussterben.
Darf es ein bisschen gesunder Stuhl sein?
So ein verarmtes Mikrobiom braucht Hilfe. Da reicht tatsächlich schon der Stuhl eines Gesunden – zumindest bei Mäusen. Eine viel beachtete Studie konnte beweisen, dass übergewichtige Mäuse deutlich an Gewicht verlieren, wenn man ihnen die Darmbakterien schlanker Mäuse verabreicht.
Können also auch Menschen ihre Kilos loswerden, indem man ihnen per Darmsonde den gereinigten Stuhl einer schlanken Person in den Dickdarm verabreicht?
Bis jetzt blieben die im Rahmen mehrerer Studien durchgeführten Versuche erfolglos. Nur bei einer extrem aggressiven Form der Darmentzündung hat die Methode funktioniert. Trotzdem glauben die Forschenden an diese Stuhltransplantations-Behandlung und führen ihre Untersuchungen fort.
Kommt die Darmbakterien-Pille?
Eine Pille wäre da um einiges angenehmer. Auch daran wird geforscht. Tomas de Wouters von der Schweizer Firma Pharmabiome etwa will Bakterien-Mischungen auf den Markt bringen. Zunächst visiert er chronische Darmentzündungen an: «Denn diese sind einfach am besten erforscht.»
Das Besondere an seinem Ansatz: Seine Bakterien-Mischungen sollen individuell auf die jeweiligen Patienten zugeschnitten werden.
Mit bunter Personalisierung zum glücklichen Darm
Auch die Basler Ernährungsforscherin Wölnerhanssen ist davon überzeugt, dass solche Pillen genau auf die individuellen Mikrobiome angepasst werden müssten: «Man muss einen personalisierten Ansatz wählen.» Es werde kaum eine Kapsel für alle geben.
Inwiefern man Krankheiten ausschliesslich über die Ernährung beeinflussen kann, untersucht die Expertin derzeit anhand von Diabetes und Depressionen am Basler Claraspital.
Ihre medizinische Studie steht zwar noch ganz am Anfang, doch persönlich ist sie von der Wechselwirkung überzeugt. Beim Essen achtet sie deshalb darauf, dass es ihren Darmbakterien guttut: «Bei mir stehen immer etwa fünf verschiedene Gemüsesorten auf dem Tisch», meint sie.
Wölnerhanssen erklärt, warum so ein vielseitiges Angebot gesund ist: «Es gibt unter unseren Darmbakterien ein paar Spezialisten: Die einen mögen diese Pflanzenfaser, die anderen jene. Wer darauf achtet, kann das Gärtchen im Bauch möglichst vielfältig halten.»
Mehr Bakterien-Vielfalt in nur drei Wochen
Bei Einstein-Moderatorin Kathrin Hönegger war das Problem übrigens nicht das Gemüse, sondern tatsächlich die fehlenden Milchprodukte. Das zeigt eine zweite Analyse drei Wochen später: Ihr Mikrobiom hat sich in der Zwischenzeit völlig normalisiert.
«Ich hätte nie gedacht, dass sich das in so kurzer Zeit so extrem verändert», sagt sie. Den Experten Andrew Macpherson erstaunt es weniger. «Bei so einer eingeschränkten Ernährung bringt jede Bereicherung eine Normalisierung.»
Darmbakterien sind mehr als nur ein Hype
Höneggers Experiment zeigt: Den Darmbakterien Aufmerksamkeit zu schenken, ist mehr als ein neuer Ernährungs-Trend. Sie sind der Grund, warum gesundes Essen auch gesund für den Körper ist.
Das Mikrobiom als Heilsbringer für fast alle Zivilisationskrankheiten zu erklären, wie das manchenorts getan wird, wäre aus heutiger medizinischer Sicht allerdings viel zu früh.
Es wird kein einfaches Unterfangen, mithilfe der für uns so wichtigen Darmbakterien Medikamente herzustellen oder Therapien zu entwickeln. Falls das aber gelingen soll, müssten sie auf jeden einzelnen von uns zugeschnitten werden.