Letzte Woche fand in München die 25. Welt-Aids-Konferenz statt. Gleichzeitig tut sich bei der Bekämpfung von HIV auch in der Schweiz etwas: Seit dem 1. Juli bezahlen die Krankenkassen die medikamentöse PrEP, also Pillen, die vor Ansteckung mit HIV schützen können.
Florian Vock von der Aids-Hilfe Schweiz war an der Konferenz in München. Hier spricht er über Werkzeuge für den Schutz vor HIV und darüber, wie sehr die Schweiz in puncto Aids-Prävention zurückliege.
SRF: Seit diesem Monat bezahlen die Krankenkassen die PrEP. Wie sehr freuen Sie sich darüber?
Florian Vock: Es ist ein gutes Zeichen, jetzt politisch auch zu sagen: Präventionsmassnahmen sind ein relevanter Teil der öffentlichen Gesundheit – und müssen darum auch finanziell getragen werden. Die Umsetzung macht uns aber nicht sehr glücklich, weil – wie immer bei Krankenkassenleistungen – Selbstbehalt und Franchise das Problem sind. Gerade bei PrEP, die von jungen Menschen benötigt wird, sind das finanzielle Belastungen, die für die meisten eigentlich nicht tragbar sind. Und damit ist die PrEP zwar theoretisch bezahlt, aber praktisch nicht wirklich zugänglicher als vorher.
Wie erleben Sie den Umgang mit Prävention in anderen Ländern?
Insbesondere in afrikanischen Ländern ist Prävention oft eine staatliche Leistung. Man weiss dort, dass Präventionsmassnahmen effizient und kosteneffektiv sind. Darum werden sie staatlich finanziert. Darum ist in vielen Ländern der Welt PrEP als Präventionsmassnahme kostenlos, gut zugänglich in Community Centern. In der Schweiz sieht das leider anders aus.
Aber ist es nicht schon mal ein Schritt, dass die Krankenkassen PrEP bezahlen?
Andere Länder machen es erfolgreich anders. Ganz grundsätzlich: Überall dort, wo PrEP wirklich kostenlos und zugänglich ist, ist es immer gemeinsam mit betroffenen Communitys organisiert. Das heisst, es sind Gesundheitszentren oder Community Organisationen, die direkt selbst die PrEP dorthin bringen, wo sie hingehört, die auch die Beratung und die nötigen Tests durchführen. Dazu braucht es nicht unbedingt Ärztinnen oder Ärzte, dazu braucht es kein Spital.
Die PrEP muss die Orte erreichen, wo es immer noch zu Infektionen kommt.
In der Schweiz ist die Umsetzung immer sehr bürokratisch für die Abrechnung und sehr medikalisiert und verärztlicht. Das geht an vielen Orten der Welt viel einfacher, und das müsste auch in der Schweiz einfacher gehen – wenn man will, dass die Menschen an die PrEP kommen, auf die es ankommt. Die PrEP muss dorthin, wo es immer noch zu Infektionen kommt.
Sie tauschen sich jetzt an der Welt-Aids-Konferenz in München mit Kollegen aus der ganzen Welt aus. Was sagen die?
Diese Woche jetzt in München waren wir 15'000 Menschen, die alle an den gleichen Themen arbeiten. Wenn ich davon erzählt habe, wie in der Schweiz PrEP funktioniert, mit Abrechnung, mit ärztlicher Visite, mit all diesen Umständlichkeiten und vor allem auch mit den Kosten, die die Menschen selbst tragen müssen, dann ernte ich Kopfschütteln. Und zwar von Ländern aus der ganzen Welt.
Warum ist es mit der Prävention von HIV in der Schweiz so harzig?
Eigentlich fehlt nicht mehr viel. Die Werkzeuge haben wir. Es braucht eine engagierte Zivilgesellschaft, die bereit ist, Dinge gemeinsam mit den Schlüsselgruppen umzusetzen. Diese Zivilgesellschaft, das sind wir. Und wir sind bereit dafür, und wir machen auch schon vieles, aber es reicht noch nicht.
Dann braucht es aber auch eine Politik, die die Grundlagen schafft, dass eben Prävention unbürokratisch möglich ist, und auch unkompliziert, nicht medikalisiert, nicht verärztlicht. Und da fehlt im Moment der Wille. In einem Gesundheitssystem wie der Schweiz, das vielleicht sehr gut ist in der Versorgung von schweren Krankheiten, aber sehr schlecht, wenn es um Prävention geht. Und schliesslich braucht es die Investition, also die finanziellen Mittel.
Das Ziel, das die WHO ausgegeben hat, ist Null Neuinfektionen bis 2030, auch die Schweiz will das erreichen. In der Schweiz sind es immer noch ein paar Hundert pro Jahr.
Ja, und diese letzten paar hundert Infektionen pro Jahr sind nicht die einfachen, die man mit ein paar Kondomkampagnen verhindert, sondern das sind die kompliziertesten. Das sind die komplexen Situationen, schwierige Settings, herausfordernde Lebenssituationen. Da braucht es wirklich uns alle und vor allem auch das finanzielle Engagement der Staaten und – in der Schweiz – der Kantone.
Das Gespräch führte Katrin Zöfel.