Krebsimpfungen, bei denen man sich vorbeugend gegen eine Krebserkrankung impfen lässt, die gibt es bereits. Zum Beispiel die HPV-Impfung, die jungen Mädchen und Buben empfohlen wird: Sie verhindert eine Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV), die Gebärmutterhalskrebs auslösen können.
Immunsystem gezielt stimulieren
Doch hinter dem Begriff «Krebsimpfung» steckt noch eine ganz andere Idee, nämlich: dass man das Immunsystem nicht im Voraus, sondern bei bereits erkrankten Menschen gezielt stimuliert und so den Krebs bekämpft. Das ist keine neue Idee – und gleichzeitig eine, die noch nicht richtig zum Fliegen kam, sagt Adrian Ochsenbein, Leiter der medizinischen Onkologie am Inselspital Bern: «Die Impfstrategien bei Krebs haben eine schwierige Geschichte. Man probiert Impfen seit Jahrzehnten, doch bisher mit wenig therapeutischem Erfolg.»
Nun kommt Bewegung in diese Forschung. Ganz vorne dabei: die Genfer Biotechnologin Madiha Derouazi und ihr Start-up Amal Therapeutics. Derouazi hat zusammen mit der französischen Immunologin Elodie Belnou eine Plattform entwickelt – eine Impfstoffplattform. Das ist eine Art Werkzeugkasten, den man gegen verschiedene Krebsarten oder Krankheiten einsetzen könnte.
Kinisches Potenzial bleibt abzuwarten
Dank diesem Werkzeugkasten können die Bestandteile eines Impfstoffs individuell zusammengesetzt werden; das Immunsystem von Krebspatienten wird so trainiert, dass es den Krebs erkennt. Das heisse: «Man verabreicht einen Impfstoff, aber letztlich ist es dann das eigene Immunsystem, das die Krebszellen angreift», sagt Derouzai.
Für ihre Erfindung ist Madiha Derouazi für den diesjährigen Innovationspreis des Europäischen Patentamts nominiert, zusammen mit Elodie Belnou. Das sei verdient, findet Adrian Ochsenbein: «Es ist eine neue Therapiestrategie, die möglicherweise effizienter Immunantworten herbeiführt», sagt der Berner Spezialist, relativiert aber: «Das klinische Potenzial bleibt abzuwarten.» Die Plattform könnte zwar bisherige Schwierigkeiten der therapeutischen Krebsimpfung aus dem Weg räumen, aber noch ist sie erst ein Versprechen.
Die Idee erhält Zuspruch
Angelika Riemer ist Leiterin der Abteilung Immuntherapie und -prävention am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und forscht ebenfalls an therapeutischen Krebsimpfstoffen. Von der Erfindung aus Genf ist sie beeindruckt: «Diese Grundlagenforschung ist wirklich hochklassig», sagt sie. «Hier wurde sehr genau analysiert, ob diese Impfstoffplattform gut funktioniert.»
Zurzeit wird die Plattform in einer Phase-I-Studie bei der Behandlung von Menschen getestet, die an Darmkrebs erkrankt sind. Ob die therapeutische Krebsimpfung nun zum Erfolg gelangt? Sie werde «ihren Platz finden müssen», ist Adrian Ochsenbein überzeugt, «vor allem, weil die Entwicklungen hoch getaktet laufen.»
Das grösste Potenzial sieht der Berner Onkologe darin, verschiedene Ansätze zu kombinieren. So lassen sich heute viele Krebsarten, bei denen die Prognosen früher schlecht waren, dank sogenannten Immuntherapien gut behandeln oder sogar heilen. Dabei wird das Immunsystem medikamentös verstärkt. Mit Impfstoffen würde die Immunantwort noch viel gezielter aktiviert. So könnten sich die Überlebenschancen von Patientinnen und Patienten weiter verbessern.