Der Mann ist 57 Jahre alt, hat schwere Arthritis und nimmt deshalb Medikamente, die das Immunsystem drosseln. Dann fängt er sich eine schwere bakterielle Infektion ein, seine Haut ist übersät mit Knötchen und Pusteln – elf Mal in einem Jahr muss er deshalb ins Spital. Die Mediziner, die ihn behandeln, können ihm nur ansatzweise helfen.
Dann beschliesst die junge Ärztin Jessica Little am Brigham and Women’s Hospital in Boston, die ihn mit behandelt: «Ich versuch’s bei ihm jetzt mit der Phagentherapie».
Noch keine Heilung, aber eine Besserung
In der Phagentherapie werden Viren eingesetzt, um krankmachende Bakterien im Körper des Patienten abzutöten. Die Idee dieser Therapie ist alt, aber nach wie vor nicht breit als Methode etabliert.
Es funktioniert: Der Patient ist zwar nicht geheilt, sagt Jessica Little, aber es geht ihm sehr viel besser. Zu Beginn wurde die Behandlung im Spital gemacht, inzwischen holt er sich einmal in der Woche seine Phageninfusion im Spital ab und legt sich die Infusion selbst zu Hause. Viele seiner Knötchen und Pusteln sind verschwunden, seine Lebensqualität ist stark gestiegen.
Was war die Ursache?
Ursache seiner Infektion war ein Bakterium, das sehr weit verbreitet ist, Mycobakterium chelonae. Es kommt im Boden, in Staub und in natürlichen Gewässern vor. Menschen mit intaktem Immunsystem können sich infizieren, bekommen aber nur kleinere Entzündungen. Eine so breite Infektion wie im beschriebenen Fall entsteht nur, wenn das Immunsystem stark gestört ist.
Der Patient konnte zunächst halbwegs erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden, dann wurden die Bakterien in seinem Körper gegen die eingesetzten Antibiotika resistent. Gerade Mykobakterien sind dafür bekannt, dass sie leicht Resistenzen entwickeln.
Was dem Patienten schliesslich geholfen hat, war eine Kombination aus Operationen, um Infektionsherde rauszunehmen, Antibiotika plus Phagentherapie.
Jessica Little und ihr Team fanden in einer Phagenbibliothek (Box) immerhin einen Phagen, der Mycobakterium chelonae befallen und abtöten kann. Im Labor stellten sie eine grosse Menge dieser Phagen her, dann wurden sie dem Patienten als Infusion gegeben.
Dieser Erfolg passt in einen Trend: Es gibt immer mehr Einzelfallstudien wie diese und kleinere Studien an Patientengruppen, die solche Erfolge vorweisen können.
Für die standardmässige Anwendung sind Phagentherapien aber noch nicht bereit. Es gibt noch viele Wissenslücken und die Therapie muss nach wie vor aufwendig für jeden Patienten einzeln hergestellt werden. Doch es zeichnet sich ab, dass sich die Therapie zumindest in einer Nische etablieren kann.
Knackpunkt Immunsystem
Bei einigen Studien hat sich gezeigt, dass das Immunsystem der behandelten Patienten auf die Phagen reagierte. Phagen sind etwas, das dem Körper fremd ist, also reagiert das Immunsystem und bildet Antikörper gegen diese Phagen. Das kann die Wirkung der Phagentherapie komplett aushebeln. Im beschriebenen Fall hat das Immunsystem des Patienten zwar reagiert, aber die Therapie blieb wirksam. Forschende müssen noch klären, ob und wie sich die Immunreaktion allenfalls gezielt verhindern lässt.
Phagentherapien können auch gegen Infektionsherde auf Implantaten wirken. Auf solchen Implantaten in Gelenken oder auch auf Herzschrittmachern können sich Biofilme aus Bakterien bilden, und in diesen Filmen sind die Bakterien für Medikamente und Antibiotika kaum zugänglich. Wenn es keine Möglichkeit gibt, das Implantat herauszuholen und zu ersetzen, haben die Patienten auf Dauer mit den Infektionen zu tun, ausser man findet eben einen Weg, die Bakterien auch in ihrem Biofilm drin zu erreichen und zu bekämpfen. Auch hier gibt es erste Erfolge mit Phagentherapie.