Es ist bloss eine winzige Menge, doch seine Wirkung ist riesig: 25 Mikrogramm Jod sind einem Kilogramm Salz beigefügt. Heute ist Jod im Salz so selbstverständlich, dass wir es kaum beachten.
Doch vor 100 Jahren, vor der Jodierung des Salzes, kam es zu rätselhaften Erkrankungen. Damals hatte ein Drittel der jungen Männer in der Schweiz einen Kropf, eine Schwellung im Halsbereich. In besonders betroffenen Gebieten kam eins von zehn Kindern mit schwerer Behinderung zur Welt, kleinwüchsig und taub oder gehörlos.
Der britische Journalist Jonah Goodman hat die vergessene Geschichte des Jodmangels in der Schweiz recherchiert und sie im Tages-Anzeiger-Magazin veröffentlicht.
Ausgewaschene Schweizer Böden
Kropf und Kretinismus gab es zwar auch anderswo, aber in keinem Land waren sie so verbreitet wie in der Schweiz. Der Grund: Den Schweizer Böden mangelt es an Jod; verursacht durch eine erdgeschichtliche Besonderheit während der letzten Eiszeit, als die Schweizer Alpen und das Mittelland von einem dicken Eispanzer bedeckt waren.
Das Jod im Untergrund wurde im Lauf der Jahrtausende durch Schmelzwasser nach und nach ausgewaschen. Und weder Pflanzen noch Tiere oder Menschen wurden mit dem lebenswichtigen Element versorgt. Überall dort, wo die Gletscher das Land nicht oder nur kürzere Zeit bedeckt hatten, war das Problem viel kleiner.
Der Hunger der Schilddrüse auf Jod
Den Zusammenhang zum Jod entdeckten Anfang des 20. Jahrhunderts keine Akademiker, sondern einfache Landärzte. Sie räumten damals mit den bisherigen Hypothesen über den Kropf auf, erzählt Journalist Jonah Goodman.
«Heinrich Hunziker, ein junger Allgemeinarzt in Adliswil, formulierte seine eigene Theorie: Die Menschen hatten zu wenig Jod. Der Kropf war eine Vergrösserung des Schilddrüsengewebes in seinem Hunger nach Jod.» Alles, was Hunziker vorbrachte, habe sich später als wahr erwiesen.
Säckeweise Jodsalz
Von Hunziker stammte auch die Idee, das fehlende Jod dem Salz beizumischen, einem Erzeugnis des täglichen Gebrauchs. Der Landarzt Otto Bayard aus Zermatt verteilte schliesslich in Grächen Säcke mit jodiertem Salz: Die Kröpfe verschwanden.
Die Verteilung im grossen Stil gelang schliesslich Hans Eggenberger. Der Chefchirurg am Bezirksspital Herisau im Appenzellischen überzeugte alle Gemeinden des Halbkantons, die Regulierung, Herstellung und den Verkauf von jodiertem Salz zu unterstützen. Das gelang ihm innert eines Monats. So spielte der als rückständig geltende Kanton Appenzell Ausserrhoden bei der Einführung von jodiertem Salz in der Schweiz eine Vorreiterrolle.
Schwangere brauchen mehr Jod
Und wie steht es heute mit der Jodversorgung der Schweizerinnen und Schweizer?
Die letzte Querschnittstudie zur Jodversorgung der Fluor- und Jodkommission, die im Übrigen früher «schweizerische Kropfkommission» hiess, ergab: «Vor allem bei schwangeren und stillenden Müttern sind die Werte nur knapp ausreichend», sagt Maria Andersson, Präsidentin der Fluor- und Jodkommission. Die Jodversorgung sei auch heute, 100 Jahre nach Einführung von Jodsalz, nicht selbstverständlich.