Zeitsprung zum Beginn der Corona-Pandemie: Lange wurde die Verbreitung der Viren durch Aerosole unterschätzt. Nun dreht sich die Diskussion nicht um Aerosole und Viren, sondern um Feinstaub und Antibiotikaresistenzen. Unterschätzen wir die Übertragung durch kleinste Luftpartikel aufs Neue? Das legt zumindest eine im «The Lancet Planetary Health» veröffentlichten Studie nahe.
Die Studienergebnisse zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen Feinstaub und Antibiotikaresistenzen: Die Gesamtkonzentration von Feinstaubpartikeln mit einem Durchmesser kleiner als 2.5 Mikrometern (PM2.5) in der Luft korrelierte mit dem regionalen Auftreten von Antibiotikaresistenzen. Soll heissen: wo mehr Feinstaub, da auch mehr Resistenzen.
Bislang ging man davon aus, dass Feinstaub in der Übertragung von Antibiotikaresistenzen eine untergeordnete Rolle spielt. Das stellt die Studie jetzt infrage: Feinstaub PM2.5 soll im Jahr 2018 weltweit zu über 480'000 vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Resistenzen geführt haben. Vertraut man diesen Zahlen, wäre Feinstaub für fast 40 Prozent der durch Antibiotikaresistenz bedingten Todesfälle verantwortlich. Und damit ein Haupttreiber der globalen Resistenzen.
So beachtlich die Zahlen, so kritisch das Echo
Bei den veröffentlichten Zahlen sind sich Fachleute uneins. Kritisiert wird insbesondere die Schlussfolgerung, dass es sich hier um einen ursächlichen Zusammenhang handle. Konkret: Fachleute zweifeln daran, dass die Feinstaubbelastung tatsächlich für Antibiotikaresistenzen verantwortlich ist. So sei es zwar durchaus plausibel, dass Feinstaub Resistenzen verbreite. Der zugrundeliegende Mechanismus sei jedoch nicht hinlänglich bekannt.
Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie am Helmholtz-Zentrum München, macht auf eine weitere «logische Lücke» aufmerksam: Die Autorenschaft setzt die Gesamtmenge PM2.5 mit Feinstaub PM2.5 gleich, der auch tatsächlich Antibiotikaresistenzen trägt. Göttlicher gibt zu bedenken: «Bei uns ist PM2.5 im Wesentlichen durch Verbrennungsprozesse und Strassenverkehr getrieben – aus diesen Quellen kommen offensichtlich keine Antibiotikaresistenzen her.» In Regionen mit einem unvorsichtigeren Umgang mit Abwasser, Klinikabfall oder etwa Viehzucht möge das anders sein.
«Ein willkommener Nebeneffekt»
Insgesamt trage die Studie zwar dazu bei, den Zusammenhang von Feinstaubbelastung und Antibiotikaresistenzen wissenschaftlich zu diskutieren, so Harald Seifert. Er ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Köln. Einen Beleg dafür, dass Feinstaub Resistenzen massgeblich verbreite, liefert die Studie jedoch nicht.
Unumstritten bleibt: Sowohl bei den zunehmenden Antibiotikaresistenzen als auch bei der Schadstoffbelastung besteht massiver Handlungsbedarf. Die negativen Auswirkungen einer hohen Feinstaubbelastung auf die Gesundheit wären eigentlich bereits Grund genug, alle Anstrengungen dagegen zu unternehmen, so Seifert. Er argumentiert: «Wenn eine Verringerung der Feinstaubbelastung die Zunahme der Antibiotikaresistenzen verlangsamt, ist das ein willkommener Nebeneffekt.»