Die Medizin vollbringt viele Wunder, der mächtigste Heiler jedoch ist das Gehirn selbst. Wie der Herr über ein perfekt organisiertes Chemielabor hält es selbst die ideale Medizin in optimaler Dosis bereit. Allein die Erwartung einer bestimmten Wirkweise eines Medikaments kann diesen Effekt schon hervorrufen. Die Migräne lässt nach, Bluthochdruck bessert sich, Panikattacken schwinden – selbst dann, wenn die Therapie aus einem Placebo bestand, einem völlig wirkstofffreien Medikament.
Dass man auch mit «Nichts» heilen kann, ist inzwischen hinlänglich bekannt und erforscht – insbesondere, wenn es um Angststörungen, Herzkrankheiten oder Schmerzen geht. Einzige Voraussetzung: Der Patient weiss, was die Tablette bewirken soll. Das setzt ein gutes, informatives Arzt-Patient-Gespräch voraus, das wiederum fördert, dass Scheinmedikamente wirklich helfen.
Mediziner gehen davon aus, dass generell 20 bis 60 Prozent der Wirksamkeit einer Behandlung allein auf eine positive Erwartungshaltung zurückzuführen sind. Doch damit, tatsächlich ein Scheinmedikament zu verschreiben, tun sich Ärzte schwer. Darf man einem Patienten zu seinen Gunsten etwas vorgaukeln oder nicht? Eher schon greifen sie auf einen kleinen Kniff zurück und verschreiben Medikamente, deren Wirkstoffkonzentration eigentlich nicht ausreicht – aber dann, dem Placebo-Effekt sei Dank, dennoch genau die erhoffte Wirkung entfalten.
Wie wichtig der Apotheker im Kopf dabei ist, zeigen Studien mit Demenzkranken: Wenn sie nicht mehr verstehen, was eine Tablette bewirken soll, reagieren sie im Gegensatz zu geistig fitten Testpersonen auch nicht positiv auf die Einnahme wirkstofffreier Medikamente.
Nocebo – die «bittere Pille»
Die gleiche Macht haben negative Gedanken. Dieser Effekt heisst «Nocebo»: Der Glaube daran, dass ein Medikament schädliche Nebenwirkungen hat, kann genau diese auslösen. Männer mit vergrösserter Prostata berichteten wesentlich häufiger als ihre unwissenden Leidensgenossen über Probleme beim Sex, wenn sie diese mögliche Nebenwirkung ihres Medikaments kannten.
Wie viel Einfluss das Gehirn auf den Körper hat, zeigt folgendes, dokumentiertes Beispiel: Ein Teilnehmer einer medizinischen Studie wollte sich mit einer Überdosis Tabletten das Leben nehmen. Als er gefunden wurde, war sein Zustand lebensbedrohlich. Es ging ihm erst wieder besser, als er begriff, dass er nur Placebos geschluckt hatte.
Besonders häufig sind diese negativen Nebeneffekte einer Behandlung bei depressiven Menschen oder Patienten, die generell eher ängstlich oder hypochondrisch sind. Unter Frauen sind Nocebo-Effekte häufiger als unter Männern. Menschen, die bereits einmal von Nebenwirkungen betroffen waren, entwickelt häufiger erneut welche.
Das kann so weit gehen, dass bereits wenige Schlüsselreize genügen: Chemotherapie-Patienten beispielsweise, denen es während ihrer Behandlung regelmässig übel wurde, wurde es bereits schlecht, wenn sie nur Räume betraten, die in der gleichen Farbe gestrichen waren wie die Räume, in denen sie ihre Infusionen erhalten hatten.
Einfühlsame Ärzte sind die beste Medizin
Gibt es beim Einsatz von Placebos schon ethische Vorbehalte, ist die Überprüfung eines Nocebo-Effekts noch heikler. Denn während Placebos prinzipiell Besserung bringen sollen, zielen Studien zu Nocebos genau auf das Gegenteil ab – ein Ziel, das kein Arzt mit seinem Berufsverständnis in Einklang bringen kann.
Dennoch ist das Verständnis dieses Negativeffekts wichtig. Denn genauso, wie ein geduldiger, verständnisvoller Arzt durch sein Verhalten bereits den Grundstein dafür legt, dass eine Therapie fruchtet, kann ein ungeduldiger, unfreundlicher, kurz angebundener Arzt genau das Gegenteil bewirken.
Gerade für Ärzte ist es deshalb wichtig zu wissen, wie sie nötige Informationen zu Risiken und Nebenwirkungen so verpacken, dass sie den Patienten nicht verschrecken – insbesondere dann, wenn ein Medikament bereits einen schlechten Ruf hat.