Er, ein Veganer? Nein, das hätte sich er niemals vorstellen können, sagt der langjährige Eishockey-Profi Steve Hirschi heute. «Früher habe ich gedacht, das sind ‹Körnlipicker›.»
Vor zehn Jahren hat er seine Ernährung komplett auf vegan umgestellt – mehr aus Not, denn aus Überzeugung. Für ihn sei es ein Glücksfall gewesen, sagt Hirschi zurückblickend.
Vegan als Glücksfall
Steve Hirschi war 20 Jahre Eishockey-Profi und spielte in der obersten Schweizer Liga. 2006 Schweizer Meister, mit dem HC Lugano. Kurz danach die Olympischen Spiele in Turin.
Doch er hatte immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, habe sich für Spiele teilweise gesund spritzen lassen müssen. Er habe sich mehreren Knie-Operationen unterzogen, hätte Probleme mit entzündeten Gelenken, täglich Schmerzen, starkes Asthma und Pollenallergien.
Er habe vieles ausprobiert, nichts half wirklich. Durch einen Freund sei er auf die Idee gekommen, sich vegan zu ernähren. «Heute sind 95 Prozent meiner Probleme verschwunden», sagt Hirschi. Früher habe er von morgens bis abends Medikamente nehmen müssen. «Heute nehme ich nichts mehr.»
Ernährung beeinflusst Entzündungen
Kann eine vegane Ernährung derart starke gesundheitliche Vorteile bringen? Hirschi hat sich vor seiner Umstellung einseitig ernährt, wie er sagt: vor allem Teigwaren, Reis, Fleisch – und kaum Gemüse.
Was er dank seiner Umstellung erlebt hat, überrascht Ernährungs- und Sportwissenschaftlerin Joëlle Flück deshalb nicht. Heutzutage wisse man, dass gerade Mikronährstoffe, Antioxidantien und sekundäre Pflanzenstoffe von extrem hoher Wichtigkeit in Bezug auf Entzündungsfaktoren sind.
Dass sich eine Umstellung von viel Milch, Fleisch und wenig Gemüse auf viel Gemüse und weniger Tierprodukte positiv auf die Gesundheit auswirke, wie das bei Hirschi der Fall gewesen sei, sei nicht erstaunlich, meint Flück.
Mehr pflanzliche Lebensmittel zu integrieren, kann also bei Entzündungen helfen. Doch wie gesund ist eine vegane Ernährung allgemein? Diese Frage lasse sich nicht einfach pauschal beantworten, sagt der deutsche Ernährungswissenschaftler Markus Keller. Denn auch Veganer könnten sich sehr ungesund ernähren.
Wenn man es jedoch richtig mache, könne eine vegane Ernährung gesundheitsfördernd sein, so Keller. Und: «Viele Veganer machen sich häufig mehr Gedanken, sind besser informiert und haben eine vollwertigere Lebensmittelauswahl.»
Kritische Nährstoffe und reduziertes Diabetes-Risiko
Auch die Berner Endokrinologin Lia Bally kann einer pflanzenbasierten Ernährung viel Positives abgewinnen. Einer strikt veganen Ernährung gegenüber ist die Gesundheitsexpertin Bally jedoch zurückhaltend eingestellt. Es sei immer sinnvoll, mehr pflanzliche Lebensmittel in die Ernährung zu integrieren: «Die Datenlage zeigt aber nicht, dass es vegan sein muss und man nur so profitiert.»
Eine vegane Ernährung brauche viel Wissen bei der Umsetzung, so Bally. Und es bestehe die Gefahr eines Mangels. Besonders beim Vitamin B12, das bei der Zellteilung und der Blutbildung eine wichtige Rolle spielt. B12 kommt in ausreichenden Mengen nur in tierischen Lebensmitteln vor und müsse daher bei veganer Ernährung supplementiert werden.
Aber auch andere Nährstoffe wie Eisen, langkettige Omega-3-Fettsäuren oder Kalzium gelte es im Auge zu behalten. Fachpersonen empfehlen, sich regelmässig ärztlich untersuchen zu lassen.
Wenn man all diese Erkenntnisse befolgt, dürfte eine vegane Ernährung unsere Gesundheit aber durchaus positiv beeinflussen. Grosse Studien wie die Adventist Health Study oder die Epic Oxford Study zeigen, dass eine vegane Ernährung langfristig positive Auswirkungen haben kann.
So ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes Typ 2 bei einer veganen Ernährung tiefer. Studien geben zudem Hinweise, dass auch das Risiko für Krebs, etwa bei Darmkrebs vermindert sein könnte.
Es fehlt an Forschung
Allgemein brauche es noch mehr Forschung zu veganer Ernährung – etwa zu den Langzeitfolgen: «Wir wissen nicht, wie sich eine vegane oder vegetarische Ernährung von Kindheit an bis ins Alter auswirkt, weil es diese Studien noch nicht gibt», sagt Keller.
Verschiedene Forschungsteams sind aber gerade dabei, weitere grosse Studien vorzubereiten, um Forschungslücken zu schliessen.
Mehr Energie im Sport dank veganer Ernährung?
Ex-Eishockey-Profi Steve Hirschi sagt heute, die Ernährungsumstellung habe seine Sport-Karriere verlängert. Die letzten Jahre habe er zudem verletzungsfrei spielen können. So die Karriere abschliessen zu können, sei natürlich schön gewesen.
Hirschi ist längst nicht der einzige Sportler, der sich vegan ernährt. Diverse Spitzensportler wie der Rennfahrer Lewis Hamilton oder der Tennisprofi Novak Djokovic ernähren sich vegan – und liefern Top-Leistungen ab. Und auch immer mehr Schweizer Profis setzen auf «mehr Power dank vegan», etwa der letztjährige Skicross-Olympiasieger Ryan Regez.
Aktuell gehen wir nicht von einer verbesserten Leistungsfähigkeit bei Veganern aus.
Es gebe im Moment wenig bis keine Studien, die einen Zusammenhang zwischen einer veganen Ernährung und der sportlichen Leistungsfähigkeit untersucht haben, sagt Joëlle Flück, Sport- und Ernährungswissenschaftlerin.
«Aktuell gehen wir nicht von einer verbesserten oder veränderten Leistungsfähigkeit bei Veganern gegenüber Allesessern aus», so Flück, die auch Präsidentin der Swiss Sport Nutrition Society ist.
Vegane Ernährung im Sport ist herausfordernd
In den aktuellen Studien zeige sich kein Unterschied bei Ausdauer- oder Kraftsportarten zwischen den verschiedenen Ernährungsweisen. Aber man habe etwa bei vegetarischen Athleten und Athletinnen tiefere Kreatinphosphatspeicher gemessen. «Gerade bei Kraftsportarten oder im Sprint, wo Kreatinphosphat ein wichtiger Energielieferant ist, könnte mit einer Supplementation die Leistung verbessert werden», so Flück.
Grundsätzlich ist eine vegane Ernährung auch im Sport möglich, wenn man es schaffe, die richtigen Nährstoffe in der benötigten Menge und Qualität zu sich zu nehmen. Dies sei jedoch herausfordernd und müsse professionell geplant sein. Damit die Leistungsfähigkeit aufrechterhalten werden kann, müssten Mangelerscheinungen, etwa Eisenmangel, gezielt vorgebeugt werden. Auch die Knochengesundheit bei unzureichender Kalziumzufuhr sei im Sport ein ernstzunehmendes Thema.
Die Abdeckung mit Kohlenhydraten sei bei einer veganen Ernährung über pflanzliche Quellen gut gewährleistet, sagt Flück. Anders sehe es bei den Proteinen aus.
Weiterführende Informationen
- Merkblatt «vegane Ernährung» der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE Merkblatt «vegane Ernährung» der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE
- Berichte zu Vor- und Nachteilen einer veganen Ernährung der Eidgenössischen Ernährungskommission Berichte zu Vor- und Nachteilen einer veganen Ernährung der Eidgenössischen Ernährungskommission
- Positionspapier der «American Academy of Nutrition and Dietetics» Positionspapier der «American Academy of Nutrition and Dietetics»
- Adventist Health Study 2 Adventist Health Study 2
«Generell ist der Proteinbedarf eines Spitzensportlers höher als der eines Nicht-Sportlers. Zudem ist die Proteinqualität, also das Aminosäurenprofil, bei pflanzlichen Proteinquellen geringer. Es sind nicht immer alle essenziellen Aminosäuren in jeder Pflanze vorhanden. Die Kombination verschiedener Proteinquellen kann helfen, dieses Problem zu lösen», so Flück.
Aufgrund von standardisierten Berechnungsfaktoren werde jedoch der Proteingehalt von Pflanzen häufig unterschätzt, was das Problem einer adäquaten Proteinzufuhr im Sport weiter unterstreicht. «Es ist schwierig, den hohen Proteinbedarf eines Spitzenathleten mit qualitativ hochstehenden Proteinquellen abzudecken, um optimale Trainingsanpassungen zu gewährleisten.»
Bewusste Ernährung lohnt sich – auch für Nicht-Sportler
Was heisst das für Hobby-Athleten, die den veganen Vorbildern nacheifern möchten? «Athleten haben teilweise ein gutes Umfeld aus Fachpersonen, die ihnen helfen, Themen wie Sporternährung, Gesundheit und Psychologie professionell und auch evidenzbasiert in ihren Alltag zu integrieren», so Flück.
Einigen Topverdienern wie Djokovic oder Hamilton stehen sogar Köche zur Verfügung, die eigens für sie kochen. Die Umsetzung einer sportspezifischen veganen Ernährung sei extrem aufwändig und kann nicht in jeden Spitzen- oder Hobbysportalltag mühelos integriert werden.
Eine Umstellung auf eine vegane Ernährung kann sich also positiv auf die Gesundheit auswirken, wenn man es richtig macht. Einen Einfluss auf sportliche Höchstleistungen hat sie aber laut Fachpersonen nicht. Sich bewusst mit seiner Ernährung auseinander zu setzen, lohnt sich aber auf jeden Fall – für Sportler wie Nicht-Sportler.