«Schau, das hier ist der Chip», sagt Maria Novaes und holt aus einer Schublade einen kleinen Behälter hervor. Darin ist eine feine Konstruktion zu erkennen, die an eine kleine filigrane Schaufel erinnert: ein Viereck aus dünnem Glas, etwa eineinhalb Mal eineinhalb Zentimeter gross, mit einem feinen metallischen Stiel dran. «So bauen wir vereinfacht ein Lungenbläschen nach.»
Die Materialwissenschaftlerin doktoriert in der Gruppe der Soft Materials an der ETH Zürich. In einem Labor auf dem Campus Hönggerberg untersucht sie, was in der Lunge geschieht, wenn wir atmen. Dabei interessiert sie sich vor allem für die feinsten Strukturen der Lungen – die Lungenbläschen oder Alveolen – und deren Inneres. Die Bläschen sind mit einer besonderen Flüssigkeit ausgekleidet: «Wären die Alveolen mit reinem Wasser befeuchtet, dann wäre das Atmen sehr anstrengend, weil Wasser eine grosse Oberflächenspannung besitzt.»
Physik des Atmens
In den Alveolen befindet sich Lungen-Surfactant – eine seifenartige Flüssigkeit, die es den Lungenbläschen leichter macht, sich beim Einatmen auszudehnen. Diese Flüssigkeit füllt Maria Novaes im Labor in die Mitte des gläsernen Chips, in ein kaum sichtbares winziges Loch und verschraubt den Chip in einem Mikroskop-Träger. Der Träger wird auf Körpertemperatur aufgeheizt und unter ein spezielles Mikroskop gelegt.
Über den feinen metallenen Stiel am Chip kann Maria Novaes Luft auf die Flüssigkeit in der Mitte leiten – mit gerade so viel Druck, wie wenn wir normal einatmen würden. «Unter dem Mikroskop beobachten wir, ob die dünne Surfactant-Flüssigkeits-Schicht zerreisst, wenn dieses gläserne Lungenbläschen-Modell ‹atmet›.»
Rätselhaft stabile Lungen
So klein die Alveolen sind, so unterscheiden sie sich dennoch in ihrer Grösse. Dieser Grössenunterschied stellt die Forschenden vor ein Rätsel: Denn die Physik besagt, dass die kleineren Alveolen unter erhöhtem Druck stehen und mit der Zeit eigentlich zusammenklappen müssten – während die grösseren Alveolen sich mehr und mehr aufblähen. Doch etwas in unserer Lunge scheint diese physikalischen Regeln auszuhebeln. Maria Novaes versucht herauszufinden, welche Rolle das Lungen-Surfactant dabei spielt, die unterschiedlich grossen Alveolen zu stabilisieren.
Die Versuche mit den gläsernen Lungenbläschen hätten diese Frage bisher nicht abschliessend beantworten können, sagt die Doktorandin. Möglicherweise verändert die seifige Flüssigkeit unter Druck ihre Materialeigenschaften und dadurch auch ihr Verhalten. «Da braucht es aber noch einiges an Forschungsarbeit von uns, um das zu belegen.»
Starthilfe für Frühchen
Lungen-Surfactant wird auch als Medikament eingesetzt, zum Beispiel für Menschen mit schweren Lungenerkrankungen. Wichtig ist es auch für Babys, die zu früh zur Welt kommen. Sie haben kaum oder erst sehr wenig Lungen-Surfactant und können in lebensbedrohliche Atemnot geraten. Maria Novaes hat im Rahmen ihres Forschungsprojektes auch die Frühgeborenen-Abteilung am Universitätsspital Zürich besucht.
«Ärztinnen und Ärzte erzählten mir von der beeindruckenden Wirkung des Surfactants», erinnert sie sich. «Wie Babies zuerst kaum atmen konnten und es ihnen dann plötzlich viel leichter fällt.» Dass sie daran forscht, ein so wichtiges Medikament besser zu verstehen, motiviert die Wissenschaftlerin besonders.