Zum Inhalt springen

Mehr als nur «Abnehmwunder» Semaglutid: Mit der Spritze raus aus der Alkoholsucht?

Bei Diabetes und Adipositas wird es bereits eingesetzt. Jetzt soll Semaglutid auch Alkoholabhängigen zugutekommen.

«Ich hatte viel weniger Heisshunger, mein Verlangen nach Zucker und Alkohol nahm ab», schreibt «cal gal» nach einem Monat Semaglutid auf Tiktok. Berichte wie diese häuften sich im vergangenen Jahr und lassen vermuten: Semaglutid zügelt nicht nur die Lust aufs Essen, sondern auf Genussmittel aller Art. Auch Alkohol.

Karriereweg von Semaglutid

Box aufklappen Box zuklappen

Bekannt wurde der Wirkstoff Semaglutid mit Ozempic. Unter diesem Namen ist er seit 2018 als Diabetesmedikament in der Schweiz zugelassen.

2022 folgte die Zulassung als Abnehmspritze namens Wegovy. Seither werden die vermeintlichen Anwendungsbereiche immer zahlreicher: Herz, Leber – und auch Sucht.

Semaglutid gegen Alkoholsucht: Die Hinweise häufen sich

Dass Semaglutid das Verlangen nach Alkohol dämpft, ist seit einigen Jahren aus Tierversuchen bekannt. Auf eine gleiche Wirkung bei Menschen deuteten bislang nur Einzelberichte und Beobachtungsstudien hin. Eine klinische Studie, die Semaglutid gegen ein Placebo testet, fehlte bis jetzt.

Das ändert nun ein US-kanadisches Team um den Suchtforscher Christian Hendershot. Acht Wochen lang wurde 48 alkoholabhängigen Probandinnen und Probanden entweder Semaglutid oder ein Placebo gespritzt. Weder sie noch die Studienleiter wussten, wer den Wirkstoff erhält – und wer das Placebo.

Wie Semaglutid wirkt

Box aufklappen Box zuklappen

Semaglutid gehört zu den sogenannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Es imitiert also die Wirkung unseres körpereigenen Darmhormons GLP-1. Dieses Hormon wird nach jeder Mahlzeit ausgeschüttet und sorgt dafür, dass der Blutzuckerspiegel sinkt und sich der Magen langsamer entleert. Wir uns also satt fühlen.

Semaglutid setzt die gleichen Mechanismen in Gang. Und davon profitieren Menschen mit Diabetes oder Übergewicht beim Abnehmen.

GLP-1 – und damit auch Semaglutid – wirkt aber auch auf das Belohnungssystem in unserem Gehirn. Es belohnt uns quasi fürs Essen.

Auf dasselbe Belohnungssystem wirken indes auch Alkohol und Drogen. Die Vermutung liegt also nahe, dass Semaglutid neben dem verminderten Appetit auch das Verlangen nach Alkohol und Drogen reduziert.

Die Ergebnisse veröffentlichen die Studienautoren jetzt in JAMA Psychiatry. Darin vergleichen sie die Semaglutid- mit der Placebo-Gruppe.

Der Vergleich zeigt: Semaglutid scheint bei Alkoholsüchtigen zu wirken. In der Anzahl abstinenter Tage unterscheiden sich die beiden Gruppen zwar nicht. Aber die Probanden mit Semaglutid berichten über ein kleineres Verlangen nach Alkohol, hatten weniger Alkoholexzesse und tranken insgesamt weniger.

Das grosse Aber

Ein Allheilmittel gegen Alkoholsucht ist Semaglutid damit noch lange nicht. Die Studie dauerte nur wenige Wochen und umschloss lediglich 48 Probanden. Diese waren nicht stark, sondern nur mässig abhängig und mehrheitlich adipös. Die verabreichte Dosis blieb mit maximal 0.5 mg klar unter den 2.4 mg pro Woche, die zur Gewichtsreduktion teils gespritzt werden.

Hilft die Therapie nur Adipösen?

Die neu veröffentlichte Studie ist zwar die erste klinische Studie, die Semaglutid bei Alkoholsüchtigen untersucht. Eine frühere hat das aber bereits mit dem Semaglutid-Vorgänger Exenatid getan. «Und da es sich dabei um die gleiche Substanzklasse handelt, würde man ähnliche Effekte erwarten», ordnet Marc Vogel ein. Er ist Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Dienste Basel.

Im Gegensatz zur aktuellen Studie blieben bei der damaligen Exenatid-Studie die erhofften Effekte aus. Zumindest insgesamt. Denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Bei einer kleinen Untergruppe – den Probanden mit einem BMI über 30 – hat sich der Alkoholkonsum reduziert. Eine biologische Erklärung dafür, dass Exenatid nur bei dieser Gruppe wirkt, fehlt.

Verglichen mit den derzeit verfügbaren Medikamenten scheint Semaglutid die Lust auf Alkohol stärker zu vermindern.
Autor: Marc Vogel Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen

Nun macht aber genau diese Untergruppe die Mehrheit der Probanden der neuen, vielversprechenden Studie aus: Die meisten hatten einen BMI über 30, waren also adipös. Nur eine einzige Person war normalgewichtig. Personen mit einem BMI unter 23 schloss die Studie wegen möglicher Risiken durch einen Gewichtsverlust aus. Ob Semaglutid bei Alkoholsüchtigen ohne Adipositas gleichermassen wirkt, bleibt also offen.

So lässt sich das Verlangen nach Alkohol messen

Box aufklappen Box zuklappen

Wenn Studienteilnehmende selbst dokumentieren, wann sie wie viel trinken und wie stark ihr Verlangen nach Alkohol ist, unterliegen diese Daten gewissen Verzerrungen. Deshalb hat das Forschungsteam für die Semaglutid-Studie zusätzlich zu diesen Berichten auch ein standardisiertes Experiment im Labor-Setting durchgeführt.

Dabei standen die Studienteilnehmenden vor der Wahl: Entweder 50 Minuten mit dem Trinken ihres alkoholischen Lieblingsgetränks warten und dafür Geld kassieren – oder gleich lostrinken.

In den folgenden zwei Stunden konnten sie so viel trinken, wie sie wollten. Währenddessen wurde die Alkoholkonzentration in der Atemluft der Probandinnen und Probanden gemessen. Diese dient als Mass für den Alkoholkonsum.

Das Experiment führten die Studienleiter zu Beginn und zum Ende der Studie durch. Der Vergleich zeigt: Zwar warteten die Probanden nach der Semaglutid-Therapie im Testversuch nicht länger mit dem Trinken. Aber: Sie tranken im Vergleich zur Placebo-Gruppe weniger.

Das deckt sich auch mit ihrer Selbstdokumentation. Sie berichten über ein geringeres Verlangen nach Alkohol im Alltag, weniger Alkoholexzesse und insgesamt einen geringeren Alkoholkonsum.

Semaglutid ist grosser Hoffnungsträger für ein neues Suchtmedikament. «Verglichen mit den derzeit verfügbaren Medikamenten scheint es die Lust auf Alkohol stärker zu vermindern», sagt Marc Vogel. Jetzt müssen weitere Studien die Ergebnisse bestätigen und zeigen, ob auch Nicht-Adipöse oder stark Abhängige davon profitieren, wie höhere Dosen wirken und wie nachhaltig das Ganze ist.

Wissenschaftsmagazin, 15.02.2025, 12:40 Uhr

Meistgelesene Artikel