«Ich hatte viel weniger Heisshunger, mein Verlangen nach Zucker und Alkohol nahm ab», schreibt «cal gal» nach einem Monat Semaglutid auf Tiktok. Berichte wie diese häuften sich im vergangenen Jahr und lassen vermuten: Semaglutid zügelt nicht nur die Lust aufs Essen, sondern auf Genussmittel aller Art. Auch Alkohol.
Semaglutid gegen Alkoholsucht: Die Hinweise häufen sich
Dass Semaglutid das Verlangen nach Alkohol dämpft, ist seit einigen Jahren aus Tierversuchen bekannt. Auf eine gleiche Wirkung bei Menschen deuteten bislang nur Einzelberichte und Beobachtungsstudien hin. Eine klinische Studie, die Semaglutid gegen ein Placebo testet, fehlte bis jetzt.
Das ändert nun ein US-kanadisches Team um den Suchtforscher Christian Hendershot. Acht Wochen lang wurde 48 alkoholabhängigen Probandinnen und Probanden entweder Semaglutid oder ein Placebo gespritzt. Weder sie noch die Studienleiter wussten, wer den Wirkstoff erhält – und wer das Placebo.
Die Ergebnisse veröffentlichen die Studienautoren jetzt in JAMA Psychiatry. Darin vergleichen sie die Semaglutid- mit der Placebo-Gruppe.
Der Vergleich zeigt: Semaglutid scheint bei Alkoholsüchtigen zu wirken. In der Anzahl abstinenter Tage unterscheiden sich die beiden Gruppen zwar nicht. Aber die Probanden mit Semaglutid berichten über ein kleineres Verlangen nach Alkohol, hatten weniger Alkoholexzesse und tranken insgesamt weniger.
Das grosse Aber
Ein Allheilmittel gegen Alkoholsucht ist Semaglutid damit noch lange nicht. Die Studie dauerte nur wenige Wochen und umschloss lediglich 48 Probanden. Diese waren nicht stark, sondern nur mässig abhängig und mehrheitlich adipös. Die verabreichte Dosis blieb mit maximal 0.5 mg klar unter den 2.4 mg pro Woche, die zur Gewichtsreduktion teils gespritzt werden.
Hilft die Therapie nur Adipösen?
Die neu veröffentlichte Studie ist zwar die erste klinische Studie, die Semaglutid bei Alkoholsüchtigen untersucht. Eine frühere hat das aber bereits mit dem Semaglutid-Vorgänger Exenatid getan. «Und da es sich dabei um die gleiche Substanzklasse handelt, würde man ähnliche Effekte erwarten», ordnet Marc Vogel ein. Er ist Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Dienste Basel.
Im Gegensatz zur aktuellen Studie blieben bei der damaligen Exenatid-Studie die erhofften Effekte aus. Zumindest insgesamt. Denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Bei einer kleinen Untergruppe – den Probanden mit einem BMI über 30 – hat sich der Alkoholkonsum reduziert. Eine biologische Erklärung dafür, dass Exenatid nur bei dieser Gruppe wirkt, fehlt.
Verglichen mit den derzeit verfügbaren Medikamenten scheint Semaglutid die Lust auf Alkohol stärker zu vermindern.
Nun macht aber genau diese Untergruppe die Mehrheit der Probanden der neuen, vielversprechenden Studie aus: Die meisten hatten einen BMI über 30, waren also adipös. Nur eine einzige Person war normalgewichtig. Personen mit einem BMI unter 23 schloss die Studie wegen möglicher Risiken durch einen Gewichtsverlust aus. Ob Semaglutid bei Alkoholsüchtigen ohne Adipositas gleichermassen wirkt, bleibt also offen.
Semaglutid ist grosser Hoffnungsträger für ein neues Suchtmedikament. «Verglichen mit den derzeit verfügbaren Medikamenten scheint es die Lust auf Alkohol stärker zu vermindern», sagt Marc Vogel. Jetzt müssen weitere Studien die Ergebnisse bestätigen und zeigen, ob auch Nicht-Adipöse oder stark Abhängige davon profitieren, wie höhere Dosen wirken und wie nachhaltig das Ganze ist.