Zum Inhalt springen

«One Health» Wie wir mit Tierschutz Pandemien verhindern könnten

Wer an Gesundheit denkt, muss Mensch, Tier und Umwelt gemeinsam betrachten. Genau das will «One Health» – ein ganzheitlicher Ansatz, der durch die Corona-Pandemie enormen Schub erhielt.

«Um die nächste Pandemie zu verhindern, müssen wir besser zusammenarbeiten – das hat Covid-19 klar und deutlich gezeigt», sagt Jakob Zinsstag, Tierarzt und Professor für Epidemiologie am schweizerischen Tropen- und Public Health-Institute (Swiss TPH).

Zusammenarbeiten sollen gemäss Zinsstag nicht nur die verschiedenen Staaten. Vor allem sollen Humanmedizinerinnen und Tierärzte besser kooperieren. Das ist, auf den Punkt gebracht, «One Health» – eine Gesundheit.

Mensch, Tier und Umwelt als Einheit

Dahinter steckt die Idee, dass die Gesundheit von Mensch und Tier eng verbunden und stark mit den jeweiligen Ökosystemen verknüpft ist. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Zoonosen – Infektionskrankheiten, die von Tier auf Mensch übertragen werden – und umgekehrt.

Zoonosen: die grosse Mehrheit aller Infektionen

Box aufklappen Box zuklappen

Gemäss Schätzungen der WHO gehen 60 Prozent aller Infektionskrankheiten auf einen tierischen Erreger zurück. Bei neu entstehenden Infektionskrankheiten sind gar 75 Prozent Zoonosen. Darunter sind auch Krankheiten, die man nicht automatisch mit Tieren in Verbindung bringt.

Masern zum Beispiel sind eng verwandt mit der sogenannten Rinderpest. Man nimmt an, dass das Rinderpestvirus vor einigen hundert Jahren auf den Menschen übergesprungen und seither als «Masern» endemisch geworden ist. Die Rinderpest gilt seit 2011 als ausgerottet.

Viele neuartige Krankheiten oder verstärkt wieder auftretende Krankheiten der letzten Jahrzehnte haben ihr natürliches Reservoir in verschiedenen Fledermausarten. Dazu zählen das Ebola- und Marburg-Virus, Sars-CoV-1 und (wahrscheinlich) Sars-Cov-2, das Nipah- und auch das Hendra-Virus.

Es ist an sich nichts Ungewöhnliches, dass Krankheitserreger von Tier zu Mensch überspringen. Schon in der Vergangenheit hat es das immer wieder gegeben.

Was sich in den vergangenen Jahren aber verändert hat, ist, dass solche Übersprünge häufiger werden. Ein Grund dafür ist, dass der Mensch immer mehr in die natürlichen Lebensräume von Tieren eindringt. Der Klimawandel beschleunigt Zoonosen zusätzlich. So steigt das Risiko für Pandemien.

Jakob Zinsstag, hält einen Hund, der geimpft wird.
Legende: Jakob Zinsstag, Tierarzt und Professor für Epidemiologie am schweizerischen Tropen- und Public Health-Institute (Swiss TPH) bei seiner Arbeit in Côte d’Ivoire. Christian Heuss / Swiss TPH

Doch die Menschheit ist dieser Dynamik nicht hilflos ausgeliefert. Für viele Fachleute ist One Health der Ansatz, um die Entwicklung zu «drehen» und sich damit besser gegen künftige Pandemien zu wappnen.

So setzen internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO oder das Umweltprogramm der Vereinten Nationen künftig auf One Health. Auch an den Hochschulen etabliert sich der Ansatz: Die Universität Zürich hat diesen September als erste europäische Uni ein One Health-Institut gegründet.

One Health in der Praxis

Jakob Zinsstag vom Swiss TPH hat schon zu One Health geforscht und publiziert, als den Begriff noch kaum jemand kannte. Er gilt als Pionier auf dem Gebiet. In vielen Weltgegenden hat er One Health in die Praxis umgesetzt, aktuell zum Beispiel in Côte d’Ivoire, Westafrika. Dort will der Epidemiologe gemeinsam mit lokalen Partnern die Tollwut bekämpfen. Das innovative Projekt bringt Tier- und Humanmedizin zusammen und setzt dabei auf die Digitalisierung.

BlockRabies – das Tollwutprojekt in Côte d’Ivoire

Box aufklappen Box zuklappen

Das Herzstück von Jakob Zinsstags Programm BlockRabies gegen die Tollwut ist eine Computer-App. Es handelt sich dabei um eine (blockchain-gesicherte) Plattform, die vieles zusammenbringt: Patientendaten, tiermedizinische Daten und die Versorgungskette von Medikamenten. Die App ermöglicht es, viel schneller auf einen Hundebiss zu reagieren. So teilen Tierärzte den Behörden unverzüglich mit, ob der Hund tollwutinfiziert ist oder nicht.

Gleichzeitig haben die Tierärzte auch Zugriff auf die Informationen ihrer humanmedizinischen Kollegen – und umgekehrt. Das Projekt ist im Aufbau. Beteiligt sind auch Sozial- und Kulturwissenschaftlerinnen.

Tollwut ist in südlichen Ländern nach wie vor eine Bedrohung. Jährlich fordert die Krankheit 60'000 Todesopfer. Hauptüberträger des Tollwutvirus Rabies lyssavirus sind Hunde.

Aus zahlreichen anderen Projekten in Afrika, Asien oder Zentralamerika weiss Zinsstag, worauf es bei der Umsetzung ankommt: «Man muss die lokalen und nationalen Behörden und auch die Bevölkerung miteinbeziehen. Es geht darum herauszufinden, was die Menschen an einem bestimmten Ort brauchen.»

Bei seinem Tollwut-Projekt in Côte d’Ivoire etwa hat Zinsstag unzählige Akteure auf dem Radar: von Kontakten zu Ämtern und Behörden bis zur möglichen Skepsis, auf die das Programm stossen könnte.

Vision: eine UN-Konvention für Tierschutz

Zinsstag denkt in grossen Dimensionen. Er hat klare Vorstellungen, wo er ansetzen würde, um den One-Health-Ansatz konsequent anzuwenden. Etwa: die Massentierhaltung beschränken. «Aus epidemiologischer Sicht müssen wir davon wegkommen», sagt er. «Weiter brauchen wir integrierte Systeme, um die Überwachung von Tier- und Menschengesundheit zu koppeln.» Das sei Aufgabe der einzelnen Länder.

Zinsstags Vision ist eine UN-Konvention für einen besseren Tierschutz und deren Gesundheit. Es brauche einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, um die nächste Pandemie zu verhindern.

Audio& Podcasts, Kontext, 31.10.2023, 06:05 Uhr

Meistgelesene Artikel