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Umfassend versorgt, statt abgeschoben und vergessen
Aus Kontext vom 26.11.2013.
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Palliative Care Der lange Weg zum guten Sterben

Unheilbar kranke Menschen brauchen mehr als Spitzenmedizin. Die meisten bedürfen einer breiter ausgerichteten Betreuung, die auch psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse abdeckt. «Palliative Care» heisst das, was sich hierzulande viele wünschen, aber längst nicht alle erhalten.

Die palliative Versorgung von unheilbar Kranken in der Schweiz ist lückenhaft und in weiten Teilen unerforscht. Ganz im Gegensatz zu den umliegenden Ländern. Ein wichtiger Grund für diesen Rückstand sei ausgerechnet der hohe Standard des hiesigen Gesundheitswesens, sagt Markus Zimmermann-Acklin, Ethiker und Präsident des Nationalfond-Forschungsprojekts «Lebensende» (NFP 67). Oft würden selbst noch in den letzten Lebenstagen und auch bei sehr alten Menschen alle erdenklichen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft – zu einem Zeitpunkt also, wo die meisten Patienten nicht mehr von einer Therapie profitierten.

Ob all der finanziellen und therapeutischen Ressourcen rückt bei manchem Behandelnden der Gedanke in den Hintergrund, dass auch das Sterben ein Lebensabschnitt ist, den es zu respektieren gilt.

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Palliative Care: Stand der Forschung
aus Kontext vom 26.11.2013.
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Wann die Therapie beenden?

Auch Steffen Eychmüller bedauert, dass die fast unbegrenzte Verfügbarkeit einer teuren Apparatemedizin und die Vielfalt kostspieliger Therapien die Palliative Care so sehr ins Abseits gedrängt hat, in der Praxis und in der Forschung. Eychmüller leitet die erst vor wenigen Monaten eröffnete Palliativ-Station am Berner Inselspital: «Palliative Care wird an den Schweizer Universitäten und Fachhochschulen nur wenig erforscht. Da sind uns andere Länder weit voraus. Wir müssen schauen, dass wir nicht ins Hintertreffen geraten.»

Es gibt kaum Studien, die uns wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen liefern für das Beenden einer Therapie.
Autor: Roland Kunz Palliative-Care-Pionier

Dabei geht es nicht ums Prestige, sondern um sehr zentrale Fragen, auf deren Beantwortung Praktiker wie der Schweizer Palliative-Care-Pionier Roland Kunz noch immer warten: «Für mich ist eine der grossen Forschungsfragen, zu welchem Zeitpunkt man eine Therapie absetzen sollte. Es gibt viele Studien, die zeigen, wann eine Therapie sinnvoll ist, aber kaum Studien, die uns wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen liefern für das Beenden einer Therapie.» Gerade wegen solcher Forschungslücken laufen Patienten Gefahr weiter therapiert zu werden, selbst wenn dies den kranken Körper nur noch zusätzlich belastend.

Während viele Patienten am Lebensende unnötige medizinische Prozeduren über sich ergehen lassen müssen, setzt die umfassende und schonendere Behandlung in Form von Palliative Care häufig zu spät ein – oder gar nicht. Dies, obwohl eine aufsehenerregende Studie im «New England Journal of Medicine» vor drei Jahren gezeigt hat: Krebspatienten, die frühzeitig palliativ behandelt werden, haben eine bessere Lebensqualität, sind weniger deprimiert und leben durchschnittlich drei Monate länger als Patienten, die eine onkologische Standardtherapie erhalten.

Besser frühzeitig umfassend betreuen

«Palliative Care»

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Der Begriff setzt sich zusammen aus dem lateinischen Wort palliatus (ummantelt) und dem englischen care (pflegen, betreuen). Palliative Care hat zum Ziel, die Lebensqualität von unheilbar kranken Menschen und deren Angehörigen zu verbessern. Neben den körperlichen Leiden werden auch psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse berücksichtigt.

Steffen Eychmüller, Palliativmediziner am Inselspital Bern, führt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» nun eine ähnliche Studie in der Schweiz durch. Er will wissen, inwieweit eine frühzeitige umfassende Behandlung, die neben den körperlichen Beschwerden auch die individuellen psychischen, sozialen und spirituellen Anliegen berücksichtigt, den Stress von Patienten und Angehörigen reduziert.

Denn Stress verkürzt nachweislich die Lebenserwartung schwer kranker Menschen, wenn Patienten Schmerzen haben oder Angst, wenn eine erschöpfte krebskranke Patientin zwischen Spital, Spitex und Hausarzt hin- und hergereicht wird, ohne dass sich die jeweiligen Behandelnden untereinander absprechen.

Markus Zimmermann-Acklin: «Es gehört zum Konzept von Palliative Care, dass sich die Behandelnden vernetzen. Hier liegt noch vieles im Argen. Ich weiss zum Beispiel von einem Tumorpatienten, der innerhalb von drei, vier Tagen mit fünf oder sechs Ärzten zu tun hatte und jedes Mal seine Krankengeschichte von neuem erzählen musste, obwohl er im Sterben lag!»

Versorgungslücken und ungerechte Verteilung

Solche Situationen zu studieren und mögliche Lösungsansätze zu entwickeln, gehört zu den Aufgaben des NFP 67. Denn die ganzheitliche, auf die individuellen Bedürfnisse von unheilbar Kranken zugeschnittene Behandlung hat hierzulande noch viele Defizite. Das haben die Untersuchungen im Rahmen der «Nationalen Strategie Palliative Care», einer Initiative von Bund, Kantonen und Fachgesellschaften, ergeben. So gibt es in der Schweiz grosse Versorgungslücken und es mangelt an Verteilungsgerechtigkeit: Wohnort, Diagnose, Alter oder soziale Herkunft sind Faktoren, die beeinflussen, welche Betreuung einem Menschen an seinem Lebensende zu Teil wird.

Woher kommt Palliative Care?

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Die Wurzeln liegen in der britischen Hospizbewegung der 1960er Jahre. Das zunächst auf sterbende Patienten ausgerichtete Konzept ist stark geprägt von den esoterischen «New Age»-Ideen der Hippies. Die Pionierinnen der Palliative Care verstanden sich als Anti-Spezialisierungsbewegung zugunsten einer ganzheitlichen Behandlung von unheilbar Kranken.

Die Versorgung in der Westschweiz ist besser als jene in der Deutschschweiz, ein Krebspatient hat eher Zugang zu Palliative Care als ein dementer Mensch. Auch behinderte, ungebildete, ausländische und sehr junge Patienten werden schlechter versorgt als andere Patientengruppen.

Noch immer wird das Konzept der Palliative Care selbst von Medizinern mit Sterbebegleitung oder der Schmerztherapie von schwer kranken Menschen gleichgesetzt. In vielen Kliniken ist die Palliative Care hauptsächlich auf krebskranke Patienten fokussiert. Doch der typische Patient am Lebensende ist eigentlich ein anderer, sagt Roland Kunz, Chef der Palliativ-Abteilung am Bezirksspital Affoltern: «Die meisten Menschen leiden vor ihrem Tod nicht an komplexen Problemen. Es sind häufig betagte Menschen, die einfach mehrere Krankheiten gleichzeitig haben.» Sie sind ein wenig dement, ein wenig herzkrank, ein wenig lungen- und nierenkrank – und sie leben in einem Pflegeheim oder zu Hause.

Roland Kunz plädiert daher für einen Ausbau der Palliative Care in der Grundversorgung und eine bessere Ausbildung von Hausärzten und ambulant Pflegenden.

Vom Menschen zum Verlustgeschäft

Aber auch das medizinische Personal in den Spitälern muss sein Wissen ausbauen. Hier fehlt es – zumindest aus Laiensicht – an erschreckend Grundsätzlichem. So erkennen medizinische Fachleute oft nicht, dass ein Patient bereits im Sterben liegt. Sie therapieren den Sterbenden weiter und rauben ihm und seinen Angehörigen die Intimität der letzten gemeinsamen Stunden.

Therapieren bis zum letzten Atemzug – dieses Phänomen hat aber längst nicht immer mit Unwissen zu tun. Der Kampf ums Leben ist auch ein Kampf ums Geld. Denn das palliativ begleitete Sterben ist im heutigen Tarifsystem nicht vorgesehen. Palliativstationen und Langzeitpflege kämpfen mit entsprechenden Finanzierungsschwierigkeiten. Ethiker Markus Zimmermann-Acklin: «Ein sterbender Patient ohne Behandlung passt in keine Diagnosegruppe. An ihm kann ein Spital nichts mehr verdienen.» Und so wird aus einem Menschen, der nichts als Zeit braucht um zu sterben, ein versicherungstechnisches Verlustgeschäft.

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