Eine Invalidenrente wegen einer psychischen Störung erhalten? Das ging letztes Jahr für 60 Antragstellerinnen und Antragssteller im Kanton Luzern nicht ohne einen zusätzlichen Test. Dabei wurden ihre Hirnströme gemessen und in Kurvendiagrammen dargestellt. Der verantwortliche leitende Arzt beim Regionalärztlichen Dienst, Peter Balbi, erklärt: «Es gibt typische Kurven, die Hinweise geben können, ob eine hirnorganische psychische Störung vorliegt, allenfalls in welchem Ausmass oder nicht.»
Und weil die Hirnströme nicht bewusst beeinflussbar seien, lasse sich damit auch herausfinden, ob jemand allenfalls gar nicht so krank sei, wie er es vorgebe. So hätten die Hirntests mitunter entschieden, ob und in welchem Ausmass einzelne Antragssteller eine IV-Rente erhielten. Die Hirntests werden übrigens von einer privaten Firma ausgewertet.
Messung noch keine Diagnose
Doch lässt sich eine psychische Störung tatsächlich an den Hirnströmen erkennen? «Nein, das kann man nicht. Man kann keine Diagnose stellen anhand von Hirnströmen», sagt Erich Seifritz, Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. «Es wäre eine grosse Errungenschaft, wenn es uns gelingen würde in der Psychiatrie Biomarker zu entdecken und zu entwickeln, mit welchen wir psychische Erkrankungen und die Grundlagen von psychischen Erkrankungen besser verstehen.»
Doch so weit sei man bisher leider nicht, eindeutige biologische Zeichen für eine psychische Erkrankung, sogenannte Biomarker, kenne man bisher nicht. Auch von einem Verfahren, das IV-Betrüger anhand von Hirnstrommessungen entlarven könne, hat Seifritz noch nichts gehört.
Zünglein an der Waage
Auch Peter Balbi betont zwar, dass die Hirnmessungen immer im Kontext der psychiatrischen Untersuchung gesehen werden müssten. Doch das Zünglein an der Waage für den Nachweis, dass jemand in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei, können sie durchaus spielen. Erich Seifritz – und mit ihm viele Wissenschaftler – finden das problematisch: «Ob es möglich sein wird, die Arbeitsfähigkeit zu quantifizieren, ist nicht ausgeschlossen. Ich glaube jedoch, wir sind davon im Moment noch relativ weit entfernt.»
Die IV-Stelle des Kantons Luzern will das Projekt trotzdem auch dieses Jahr weiterführen. Obwohl sie sich dabei auf wissenschaftlich dünnem Eis bewegt.